Interpol auf Streifzug mit dem Plünderer

Turn on the Bright Lights: Im Juni waren Interpol in der Wiener Arena zu Gast.
Die Band aus New York kehrt mit neuer Musik und neuen Abgründen der Existenz zurück.

Elliot Richardson sitzt alleine an dem Tisch, die Mikrofone der Presse vor ihm. Der US-Politiker, einst Justizminister unter Richard Nixon, ist auf dem Cover des neuen Interpol-Albums „The Marauder“ zu sehen. Große Prominenz erlangte er weniger für seine Amtszeit als für seinen Rücktritt: Als Nixon ihm befahl, den Sonderermittler Archibald Cox zu feuern, da dieser die Verstrickung des Präsidenten in die Watergate-Affäre untersuchte, legte Richardson sein Amt nieder. „Er weigerte sich, sich zu etwas drängen zu lassen, das seinen persönlichen Prinzipien widersprach“, sagt Paul Banks, Sänger und Bassist der Band.

Für seine Integrität fiel Richardson einiges an Lob zu. Auf dem Foto, das Interpol für „The Marauder“ auswählten, sieht er aus, als hätte man ihn alleinegelassen.
Mit Elliot Richardson hat der „Marauder“ – der „Plünderer“ – wenig gemein: Er ist ein verantwortungsloser Charakter, der sich nicht um Konsequenzen schert. Auf dem Album taucht er einmal hier, einmal da auf: Als Anführer eines sektenhaften Personenkults, als schamloser Hedonist – immer ist es die Verantwortung, der er auf diese oder jene Weise aus dem Weg geht.  Er sei auch ein Teil seiner Persönlichkeit, erzählte Banks der Website Stereogum: „Er sitzt aber nicht immer am Steuerrad.“

Die Interpol-Tugenden

Hört man „The Marauder“ zum ersten Mal, fällt vor allem auf, dass der Sound rauer, schlagzeuggetriebener geworden ist. Das Album ist kein Quantensprung – es möchte auch gar keiner sein. Seit ihrem Debüt „Turn on the Bright Lights“ aus dem Jahr 2002 haben Interpol an ihrem Sound gefeilt, ohne ihn je dramatisch zu verändern: Daniel Kesslers Rasiermessergitarre klingt auch heute so gut wie vor sechzehn Jahren, Paul Banks Stimme schnarrt wie eh und je – und die Musik verströmt immer noch die Atmosphäre einer spätnächtlichen Zugfahrt. „Wenn man versucht, besonders originell zu sein, kann das die Integrität zerstören“, sagte Drummer Sam Fogarino einmal.

Integrität – da fällt wieder Elliot Richardson ein. Auf dem Cover wirkt er fast einsam. Nach seinem Rücktritt war er für zahlreiche Nixon-treue Republikaner zur Persona non grata geworden. Gerade seine Integrität war es, die ihn in der Partei zum Ausgestoßenen machte. Es ist eine Situation, die Interpol gefallen könnte – auch in ihren Songs sind die Verhältnisse selten einfach. 

Die kleinen und großen Abgründe der Existenz reizen die Band noch immer – sie bespielen sie souverän. Und die rastlose Energie ihrer Musik kommt wieder und wieder zum Vorschein: Bei „If You Really Love Nothing“. Bei „The Rover“. Und bei der kontrollierten Gitarrenexplosion, mit der „Flight of Fancy“ endet. Hier scheinen Interpol die Kraft ihrer „Marauder“ auf geordnete Bahnen zu lenken. Auch so kann man mit ihnen verfahren, wie Banks erzählt: „Wenn du ihn einspannen kannst, um Brücken zu bauen, anstatt alles niederzureißen, kann er sehr wertvoll werden“.

"The Marauder" von Interpol erscheint am 24. August bei Matador Records.

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