Im Vorhof der Macht

Der ORF hat 35 Stiftungsräte, von denen derzeit jeweils 13 direkt der SPÖ bzw. der ÖVP zugeordnet werden (die realpolitisch immer schwergewichtigere FPÖ etwa hat gerade mal einen).
Weil der ORF offiziell "entpolitisiert" ist, organisieren sich SPÖ und ÖVP in sogenannten Freundeskreisen. Eingeführt wurde diese Scheinwelt unter ÖVP-Kanzler Wolfgang Schüssel, der sich mit einem komplexen Beschickungsmodus stets die Mehrheit des Kanzleramtes sichern wollte.
Als er seinen Koalitionspartner BZÖ vergrätzte, wurde er 2006 jedoch mit den beschränkten Möglichkeiten dieser Art des Machterhalts konfrontiert: Mit einer "Regenbogenkoalition" aus allen Farben außer Schwarz warf Alexander Wrabetz die VP-Frau Monika Lindner aus dem Führungssessel. Bald darauf war Schüssel Geschichte. Die Abstimmung über den ORF-Generaldirektor hat in den Parteien den Status einer politischen Wahl: Tragisch, wenn man sie "verliert". Mit dieser Denkart setzen sich aktuell SPÖ und ÖVP auseinander, nachdem sie keinen gemeinsamen Wunderkandidaten aus dem Hut zaubern konnten: Das Ziel ist jetzt Schadensmaximierung für den Partner. Das Unternehmenswohl ist sekundär – es geht darum, den eigenen Kandidaten durchzubringen.
Noch jede Partei hat geglaubt, die ORF-Information steuern zu können. Und der Küniglberg bietet attraktive Jobs, die man gerne mit dem eigenen Mascherl versieht.
Für die Mitarbeiter stellt sich die heikle Frage: Hinter wem positioniere ich mich? Wem werde ich ohne mein Zutun zugerechnet? Und was, wenn der andere gewinnt?
Das oberste ORF-Gremium hat also Reformbedarf: Die Beschickung nach dem " Winner takes it all"-Prinzip, das die Kanzlerpartei extrem bevorzugt, ist zu überdenken. Auch aus Sicht der SPÖ, die derzeit der Nutznießer ist. Schüssels Niederlage war beispielgebend: Die ÖVP verlor zuerst den ORF, dann die Nationalratswahl und damit die Chance auf wesentlichen Einfluss im Rundfunk. Gäbe es keine schwarzen Bundesländer, hätte die SPÖ das Ruder fest in der Hand. Nach der nächsten Nationalratswahl könnte schnell ein blauer Winner die Geschicke des ORF entscheidend mitbestimmen. Ist es das wert?
Aber wer soll eigentlich im Stiftungsrat sitzen? Wenn der Stiftungsrat die Staatsbürger entsprechend vertreten soll, müsste die Opposition entsprechend ihrer Größe im Nationalrat aufgewertet werden. Warum der Wähler über die Bundesländern doppelt vertreten ist (derzeit ausschließlich in Rot und Schwarz), ist ein österreichisches Spezifikum: Ohne Länder geht nun einmal politisch wenig bis gar nichts – auch diese Macht müsste man eigentlich stutzen.
Kommentare