Ibsens "Volksfeind" in St. Pölten: Böse Machtspiele

Theater, die aktuell sein wollen, müssten nur bei Henrik Ibsen nachschlagen. Sein „Volksfeind“ ist 140 Jahre nach der Uraufführung in Oslo das Stück zur Stunde.
Denn es geht um alles, was uns heute berechtigte Sorgen macht: die Zerstörung der Umwelt, Missstände, Gier, Kapitalismus, Tourismus, Politik – besonders brisant am Premierenabend zwei Tage vor der bevorstehenden Wahl in Niederösterreich – und einen Wissenschafter und Warner, auf den niemand hören will.
Anne Bader konzentriert im Landestheater NÖ in St. Pölten die fünf Akte auf kompakte eineinhalb Stunden und demonstriert mit ihrer abgeschlankten Textfassung Ibsens Aktualität und Brisanz. Gespielt wird vor der Projektion einer verschneiten Berglandschaft in einer Art Therme (Bühne: Franziska Bornmann). Das funktioniert glänzend. Vogelgezwitscher wird je nach Bedarf mit einer Fernbedienung eingeschaltet, denn die geflügelten Sänger sind von der Bautätigkeit an der Küste vertrieben worden.
Die Geschichte wird in knappen Szenen, wie in Videoclips, schlüssig erzählt. Stockmann hat gefährliche Keime im Wasser des Kurbades entdeckt, Tochter Petra bringt ihm den Brief mit den Laborergebnissen. Mit Hovstadt, dem Journalisten des „Volksboten“, soll die Misere aufgedeckt werden. Doch der Redakteur richtet sich nach der Politik. Stockmann wird vor der Bürgerversammlung als Volksfeind diffamiert.
Das Personal ist auf sechs wesentliche Figuren reduziert. Die treibenden Kräfte sind bei Bader zwei Frauen. Stockmanns Schwester, die Stadtvorsteherin (im Original Stockmanns Bruder, der Stadtvogt) und Petra, Stockmanns Tochter. Anders als bei Ibsen ist sie es, die den Vater zum Weitermachen drängt und zum Aktivisten werden lässt.
Empathielos
Jede dieser Figuren ist präzise geführt. Gespielt wird ausgezeichnet. Bettina Kerl verkörpert eine eiskalte Politikerin. Empathie ist ihr fremd. Als sie von Stockmanns Enthüllung erfährt, greift sie zur Gegenmaßnahme und wendet sich wie eine Art Big Sister per Video-Projektion an das Volk.
Stockmanns treibende Kraft ist seine Tochter Petra, eine Repräsentantin der „Fridays for Future“-Generation, wie Bader im KURIER-Gespräch vorab erklärte. Berührend singt sie am Anfang und Ende „Alles renkt sich wieder ein“ von Gustav.
Tim Breyvogel überzeugt als schleimiger Journalist Hovstadt, Tobias Artner agiert gut als dessen Mitarbeiter Billing. Exzellent stellt Tilman Rose den Unternehmer und Drucker Aslaksen als nur auf seinen Profit orientierten Mann dar, spielt mit seiner Stimme, die er bis ins Falsett schwingt. Michael Scherff zeigt Stockmann als naiven, sympathischen, Wissenschafter, der zum Revolutionär mutiert.
Am Ende setzt er noch zu einer Schüttaktion an. Last Exit Aktivismus. Punkt. Fertig. Viel Applaus für diese absolut sehenswerte Aufführung.
Von Susanne Zobl
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