Ibsens "Gespenster" am Akademietheater: Blutleere Wiedergänger

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Die Übernahme aus dem Schauspiel Köln lässt den Funken nie ganz überspringen - trotz großartiger schauspielerischer Leistungen.

Die Hölle, das ist die Familie – könnte man in Anlehnung an Sartre über Henrik Ibsens „Gespenster“ sagen.  Das Gesellschaftsdrama des norwegischen Großdramatikers und Theatererneuerers zerlegt die Altlasten einer Familie in ihre Einzelteile. Der Auslöser der tristen Situation ist bereits tot, als das Stück beginnt: Kammerherr Alving. Seine Frau, Helene Alving, will ihm zu Ehren ein Kinderasyl eröffnen.

Thomas Jonigk, dessen Kölner Inszenierung Burg-Direktor Stefan Bachmann nach Wien holte, lässt zu Beginn Dias aus scheinbar guten Zeiten auf die Bühne des Akademietheaters projizieren. Die triste Ausstattung des kargen Bühnenbilds (Lisa Däßler) besteht aus ein paar schwarzen Wänden (umgedrehte Malerleinwände) und schmucklosen Bürosesseln. Dahinter die nackte Feuermauer.

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Laïs. Hacker, Haupt, Läßle

Unheilvoll

Eine unheilvoll klingender, repetitiver Klangteppich (Julian Stetter) wird eingespielt. Zum Glück, möchte man sagen, nimmt sich diese Musik zunehmend zurück und ist schließlich gar nicht mehr zu hören. Das Tragische ist hier eben der Ausgangspunkt. Doch die unbequeme Wahrheit wird dem Sohn noch vorenthalten. Es ist Osvald Alving, der nach langen Jahren in Paris nach Norwegen zurückkehrt. Er wird seiner Mutter später ebenfalls Unangenehmes berichten. Er fürchtet, nie mehr als Künstler arbeiten zu können. Zu sehr ist sein Geist vernebelt, Angstzustände plagen ihn - im Original sind es Folgen der Syphilis. Gespielt wird der von dieser „Hirnerweichung“ betroffene Maler delirierend, mitunter schreiend, von Jörg Ratjen, bewusst viel zu alt besetzt – weil eben so überfordert und heimgesucht. In den erwähnten Dias ist Ratjen auch als Vater Alving zu sehen. Der Sohn und der Vater - ein wüster Weiberheld - fallen in eins.

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Läßle, Laïs, Hacker.

Ihn, Ratjen, hat Jonigk aus Köln mitgenommen, ebenso seine kongeniale Bühnenpartnerin Anja Laïs, welche die zunehmend verzweifelte Mutter Helene verkörpert. Die übrigen drei Rollen sind aus dem Burgtheaterensemble besetzt. Norman Hacker spielt den moralisierenden Pastor Manders, dem Helene das Kinderasyl übereignen möchte – aus schlechtem Gewissen. Sabine Haupt spielt den verschlagenen Tischler Engstrand, der statt eines Kinderasyls lieber ein Seemannsheim aufmachen möchte – in Wahrheit ein Bordell. Der will dort ausgerechnet seine vermeintliche Tochter Regine (Lilith Häßle) arbeiten lassen, die derzeit noch Bedienstete im Hause Alving ist.

Analytischer Blick

Auf die komplizierten, aber doch greifbar geschriebenen Konflikte, richtet Jonigk einen analytischen Blick. Sämtliche Figuren werden über lange Zeit – wie in einer Versuchsanordnung – einfach auf die Bühne gestellt. Erst wenn sie am Wort sind, werden sie gleichsam aktiviert. Hinzu kommt immer wieder eine ironische Distanz. Wenn Helene und der Pastor – einander innig küssend - übereinander herfallen, stoppt Laïs plötzlich und sagt in Richtung Publikum: „Jetzt reicht’s aber.“

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Läßle, Ratjen, Laïs, Hacker, Haupt.

Das Publikum scheint zwar dankbar für diesen Comic Relief, eine kurz befreiende Komik, die etwas Ballast herausnimmt. Aber insgesamt wirkt das trotz aller schauspielerischer Brillanz, die hier am Werk ist, erstaunlich blutleer. Wenngleich dies als Umsetzung der titelgebenden „Gespenster“, im Original eigentlich Wiedergänger („Gengangere“), durchaus stimmig scheint. Wir haben es also gleichsam mit Zombies zu tun, die aus den Fehlern der Elterngeneration gebaut sind. Die Beleuchtung (Marcus Loran in Wien) wirft zudem gespenstisch anmutende Schatten an die Wand.

Nur konsequent durchgezogen wird dies alles nicht.

Lügengebäude

Osvald und Regine, die als Liebespaar gemeinsam nach Paris gehen wollten, bekommen schließlich die unangenehme Wahrheit serviert, dass sie eigentlich Halbgeschwister sind. Bereits vor dem Lügengebäude ist auch noch das Kinderasyl abgebrannt.

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Häßle, Laïs, Ratjen

Das Finale, in dem der Sohn die Mutter um Erlösung anfleht, ist eindringlich gespielt. Aber auch hier mischt sich noch ein komisch anmutender Moment hinein. Osvald, unter einem großen weißen Tuch (für Leichen oder für Gespenster?) begraben, wühlt sich noch einmal - sehr lebendig - aus den Unmengen an Stoff heraus. Er will die Sonne sehen.

Aus dem Text, der seinen Tod nicht explizit festhält, ist das zwar erklärbar. Dennoch will der Funke aus Köln hier nie vollends überspringen. 

Freundlicher Applaus für die großartigen schauspielerischen Leistungen.

KURIER-Wertung: *** von *****

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