Die Ausstellung „Die Dritte Generation“ im Jüdischen Museum zeigt, wie die Schoa auch die Nachfahren von Überlebenden weiter beeinflusst und wie sie damit umgehen.
Auf den ersten Blick ist es nur eine bunte Tapete. Eigentlich ganz fröhlich, könnte man denken. Bis man das Tor erkennt, über dem „Arbeit macht frei“ steht. Und den Buben, der von der Gestapo abgeholt wird. In vielen ornamentalen Wiederholungen. Diese Installation von Jonathan Rotsztain in der Ausstellung „Die Dritte Generation“ erfasst gut, wie Kindern und Kindeskinder von Holocaust-Überlebenden ihr ganzes Leben lang umgeben von Erzählungen und Erinnerungen des Schrecklichen sind. Das hat schon ganz früh beginnen können, wie ein weiteres Exponat erklärt: Wiegenlieder über die Gräuel in den Vernichtungslagern, die vor allem unter Roma und Sinti als Aufarbeitungsmethode verbreitet waren.
Die letzten Zeitzeuginnen und Zeitzeugen werden bald verschwunden sein. Die Aufgabe, an die Verbrechen zu erinnern, wird nun den nächsten Generationen übergeben. Das Jüdische Museum Wien befasst sich in seiner aktuellen Schau mit den Mechanismen der Nachfahren, die weitergegebenen Traumata zu verarbeiten und mit der Last, die Familiengeschichte nicht vergessen zu lassen, umzugehen.
Gedenkarbeit als verzehrende Aufgabe: "Witch" von Dvora Morag
Wie sich „Vererbtes Trauma“ manifestiert, zeigt etwa die Arbeit von Dvora Morag: Ihre „Witch“ (Hexe) ist ein Frauenkopf mit einem Spitzhut, den man ganz oben anzünden könnte - denn eigentlich ist es eine Gedenkkerze. Morag greift damit die wissenschaftliche Erkenntnis auf, dass sich in Familien von Überlebenden meistens eine Person besonders intensiv mit der tragischen Familiengeschichte befasst -intuitiv, um den Rest der Familie zu entlasten. Wie sehr diese Gedenkarbeit die Nachfahren auslaugt, versinnbildlicht die sich verzehrende Natur der Kerze.
Dan Glaubachs Fotos von Weinbergen halten sowohl Holocaust-Überlebende als auch ihre Kinder auf den ersten Blick für Konzentrationslager
Das Grauen setzt sich fort
Dan Glaubachs Fotos offenbaren, wie unterschiedlich die Wahrnehmung sein kann: Was eigentlich ein Weinberg im Winter ist, wird von Holocaust-Überlebenden und deren Nachkommen auf den ersten Blick als Konzentrationslager identifiziert. Das Grauen sitzt also nicht nur bei den direkt Betroffenenen tief, es setzt sich fort. Amy Kurzweil formuliert es in ihrer Graphic Novel „Flying Couch“ so: „Es muss doch in unserem Blut sein.“
Neben Erinnerungsschätzen wie dem Gebetsmantel des ermordeten Isak Aron Rosen, den seine Familie als einziges retten konnte und unter dem seine Enkelkinder geheiratet haben oder einem Nähkorb aus dem Haushalt, in dem Hans Feldner-Bustin versteckt wurde, sind auch provokante Positionen zu sehen. Marina Vainshtein etwa hat sich den ganzen Körper mit alptraumhaften Holocaustszenen und Nazi-Emblematik tätowieren lassen. Zoya Cherkassy hat eine Selbstermächtigung des Symbols des Judensterns versucht, indem sie ein Luxusobjekt, eine goldene Brosche, daraus gemacht hat.
Ein Nähkorb aus dem Haushalt der Familie, in der Hans Feldner-Bustin versteckt wurde. Seine Frau Helga, eine unermüdliche Zeitzeugin, ist Ende vergangenen Jahres mit 95 Jahren verstorben.
Leider nur angerissen wird eine spannende Geschichte, die zeigt, dass das Erforschen der Familienhistorie manchmal auch Überraschendes zutage bringt: Arnon Goldfinger erzählt in seinem Film „Die Wohnung“ davon, wie er beim Ausräumen des Appartments seiner Großmutter in Berlin einen Ausschnitt der nationalsozialistischen Zeitschrift „Der Angriff“ mit dem Titel „Ein Nazi fährt nach Palästina“ gefunden hat. Die Großeltern waren mit dem Journalisten und späteren SS-Mann Leopold von Mildenstein befreundet. Sie unterstützten ihn bei einer „Recherchereise“, die darauf zielte, eine Auswanderung aller Juden nach Palästina als „rationale Lösung der Judenfrage“ zu bewerben. In der Familie wurde darüber niemals geredet.
Wieder sichtbar machen
Ein ganzer Raum ist der symbolhaften Wiedersichtbarmachung gewidmet. Christian Boltanski hat 1987 mit der Installation „Le Lycee Chases (Chajes)“ die Gesichter von Schülern eines Wiener jüdischen Gymnasiums von einem Gruppenfoto aus 1931 verfremdet, um die Vergänglichkeit und Auslöschung zu vermitteln. Eduard Freudmann hat als Antwort darauf 2021 die Installation „All we know about them“ gestaltet: Er hat die Namen und Biografien der Abgebildetetn recherchiert und sie so zurück in die Erinnerung geholt.
Die Ausstellung endet mit einer humorvollen Note: In der Fotoserie „I am my family“ bildet sich Rafael Goldchain immer wieder selbst als seine Verwandtschaft ab, egal ob Mann, Frau oder Kind. Was als Hommage an seine ermordeten Vorfahren begann, mündete in teilweise komplett erfundener Meschpoche. Auch eine Art des Widerstands gegen die Auslöschung.
Die Ausstellung „Die Dritte Generation“ im Jüdischen Museum Wien ist noch bis 16. März zu sehen.
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