"Hinter jeder Ecke ein Mozart"

Er hat eines der meistgespielten zeitgenössischen Stücke überhaupt geschrieben: Mit "Frankenstein!!" eroberte der österreichische Komponist und Dirigent HK "Nali" Gruber die Konzertsäle. Am Mittwoch eröffnet nun eine Gruber-Uraufführung die Bregenzer Festspiele: Er hat Ödön von Horvaths "Geschichten aus dem Wiener Wald" zur Oper gemacht.
Ein Gespräch über die Mozarts von heute, nasenbohrende Intendanten und Monty Python.
KURIER: Sie haben dreieinhalb Jahre an der Oper komponiert, jetzt naht die Uraufführung. Wird es so, wie Sie das Werk im Kopf hatten?
HK Gruber: Der Weg zur Perfektion ist dornig. Wir bemühen uns, auf einem möglichst hohen Niveau zu scheitern. Und wenn möglich so, dass niemand etwas davon bemerkt. (lacht)

Das ist ein ganz großartiges Signal, auch gesellschaftspolitisch wichtig. In der Aufmerksamkeit für die Gegenwartskunst haben die Bregenzer eine Art von Weltmeisterschaft.
Aber das Zeitgenössische muss immer noch vom Klassischen finanziert werden: Die "Zauberflöte" am See ermöglicht die "Geschichten".
Mozart bringt sehr viele ausverkaufte Vorstellungen. Ich finde recht und billig, dass man die Gewinne in die Gegenwartskunst investiert. Jeder Veranstalter, der auch mit öffentlichen Geldern finanziert wird, hat die Pflicht, sich für die Gegenwartskunst zu interessieren. Wer das nur als Alibi macht, der hat seinen Beruf verfehlt.
Aber warum bleibt auch das Publikum zögerlich?
Dieses Klischee "Moderne Kunst ist schwer zugänglich" haben sich gewisse Veranstalter zurechtgelegt, damit sie bequem leben. Grundsätzlich gibt es Neugier, die kann man wecken. Wenn ich mir das Wiener Publikum anschaue: Die gehen jeden Tag in ein Theater, in ein Konzert. Wenn man diesen Leuten gelegentlich das Leben ein bisserl weniger bequem macht und sie mit Zeitgenössischem konfrontiert, dann werden sie halt ein Schnoferl machen. Aber auf der anderen Seite werden sie da oder dort Überraschungen erleben und sich sagen: So schlimm ist das auch wieder nicht.
Die "Geschichten" werden wohl auch unbequem.
Mit Sicherheit! Die "Geschichten" – 1931 in Berlin uraufgeführt – sind nahe an der "Dreigroschenoper", von der Horvath sehr beeindruckt war. Er hat ursprünglich ein Schauspiel mit Musik geplant und sich als Komponist Kurt Weill gewünscht.
Waren Sie leicht vom Thema zu überzeugen?
Ich war anfangs skeptisch und dann immer mehr überzeugt, weil das Stück einen unglaublich musikalischen Text hat. Mir war das wichtig für die Oper, da die Dialoge prompt ineinander übergreifen müssen, so wie beim Schauspiel. Das erfordert enorme Präzision, da gibt es kein Hängen. Aber wenn jetzt alles zusammenkommt, sagen auch die Sänger: Das klingt so einfach wie am Theater. David Pountney wollte eigentlich eine Buffo-Oper von mir. Ich habe gezögert, weil: Mit dem "Frankenstein!!" glaubt die ganze Welt, der Nali ist der Clown vom Dienst in der neuen Musik. Ich bin der Meinung, dass ich der ernsteste Mensch bin, dem ich je begegnet bin.
Gab es andere mögliche Stoffe?
Im Laufe des Suchens hat David eine Andeutung gemacht, dass Monty Python nachdenken, für mich ein Libretto zu machen. Da hätte ich vermutlich keinen Widerstand leisten können. Aber es ist im Sand verlaufen.
Wie ist denn das Arbeiten in Bregenz? Kürzlich beklagte der Festspielpräsident, dass die Subvention nicht erhöht wird, wirkt sich das aus?
Wir haben die besten Arbeitsbedingungen, die man sich nur vorstellen kann. Ich sehe nicht ein, warum Gegenwartskünstler nicht genau dieselben Produktionsmöglichkeiten haben sollen, wie es die Puccinis oder die Mozarts gehabt haben. Ich bin überzeugt, dass es in unserer Zeit hinter jeder Ecke Mozarts zu finden gibt, vorausgesetzt, wir investieren. Und geben nicht auf, diese Mozarts zu finden.
Dieses Bekenntnis zum Zeitgenössischen ist aber oft das Erste, das in Zeiten des Spardrucks verschwindet. Der ORF etwa diskutiert immer wieder Sparmaßnahmen beim Radio Symphonieorchester. Deshalb gibt es auch Institutionen wie den Kunstsenat, der in solchen Fällen sofort protestiert. Ich bin dort Vizepräsident, ich fange sofort an zu stänkern. Ich bin der Meinung, dass es sich die großen Herren, die Manager sehr gemütlich machen. Ihre Marie kommt garantiert jeden Monatsersten. Und die entscheiden dann darüber, wie man mit Gegenwartskunst umzugehen hat. Dann ist der Song Contest wichtiger als Gegenwartskultur. Da gibt es manchmal Missverständnisse. Die muss man ausräumen.
Aber für selbstverständlich genommen wird das Zeitgenössische nicht – es gilt als Zusatz.
Wie der David reagiert hat, als ich ihm beichten musste, dass ich nicht fertig werde – wir sollten ja schon 2013 uraufführen –, dafür gebühren im alle Preise dieser Welt: Er hat gesagt, was in ehernen Buchstaben auf steinernen Blöcken eingemeißelt werden muss: Man muss den Künstlern Zeit zum Arbeiten geben. Die meisten Intendanten kommen nebenbei, während sie hauptberuflich Nase bohren, drauf, dass sie vielleicht jemand einen Auftrag geben könnten. Und dann wollen sie die Oper schon in drei Wochen haben. Die Komponisten sind eigentlich Dienstboten für den Betrieb. Das muss bekämpft werden.
Der Komponist
HK „Nali“ Gruber (geboren am 3. Jänner 1943 in Wien) ist Komponist, Kontrabassist, Chansonnier, Schauspieler und Dirigent. Er gilt als einer der originellsten musikalischen Köpfe Österreichs. Sein erfolgreichstes Werk ist das 1978 uraufgeführte „Frankenstein!!“ nach Kinderreimen von H. C. Artmann.
Der Spitzname
„Ich war ja bei den Sängerknaben. Dort hatten wir Schlafsäle mit zehn Buben, und man sagt, ich hätte einmal in der Nacht vor mich hin gelallt: ,Naijji Nali‘ oder so. Ab dem Zeitpunkt war ich der Nali“, erzählt Gruber.
Die „Geschichten“Grubers Oper „Geschichten aus dem Wiener Wald“ kommt am Mittwoch zur Eröffnung der Bregenzer Festspiele zur Uraufführung. Das Libretto nach Texten von Ödön von Horváth stammt von Michael Sturminger. Dirigent der Wiener Symphoniker ist Gruber selbst, Regie führt Sturminger.
Die Besetzung
Es singen u.a. Angelika Kirchschlager (Valerie), Ilse Eerens (Marianne), Daniel Schmutzhard (Alfred) und Jörg Schneider (Oskar).
Info und weitere Termine unter www.bregenzerfestspiele.com
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