Herzerwärmend: Kaurismäkis "Le Havre"
Aki Kaurismäki, der wortkarge Finne mit dem mürrischem Humor, hat mit seiner herzerwärmenden Tragikomödie "Le Havre" so etwas wie einen Comeback-Film abgeliefert. Radikal Neues gewagt hat er dabei zwar nicht. Doch mit seinem Rückgriff auf die poetische Realismus-Tradition des französischen Kinos der 30er-Jahre schwört Kaurismäki einen Geist der Solidarität und des Widerstandes herauf, der gerade in seiner Märchenhaftigkeit gehöriges Kraftpotential entwickelt.
Sein Held heißt Marx. Nicht gerade Karl, dafür aber Marcel Marx. Von Beruf Schuhputzer und, im schönsten Sinn des Wortes, ein guter Mensch, schnorrt sich Monsieur Marx gemeinsam mit seinem Hund Laika galant durch die pittoresken Bistros und Gemüseläden der Nachbarschaft. Seine Frau Arletty - stoisch gespielt von Kaurismäkis Dauer-Muse Kati Outinen - bügelt ihm daheim wortlos das Hemd und bereitet abends das bescheidene Nachtmahl.
Arletty ist schwer krank - man kann ruhig sagen: todgeweiht - doch Kaurismäki ist es nicht um Realitäten zu tun. Ebenso wenig, als plötzlich der afrikanische Flüchtlingsjunge Idrissa auftaucht und von
Marcel Marx vor der Polizei versteckt wird. Das gesamte Wohnviertel steht ihm dabei zur Seite - und wieder erzählt Kaurismäki kein realistisches Flüchtlingsdrama, sondern eine Kinogeschichte mit Möglichkeitssinn.
In klaren Bildern in gedeckten Farben, untermalt mit nostalgischer Akkordeonmusik, erinnert Kaurismäki an die Ideale der Résistance und die Kraft der Volksfront. Der Widerstand der sogenannten kleinen Leute entwickelt bei ihm eine Sogwirkung, die sogar dem Denunzianten - einem herrlich plakativ-fiesen Jean-Pierre Léaud im Trenchcoat - den Wind aus den Segeln nimmt. Dabei entfaltet Kaurismäkis Humor gerade in der Märchenrhetorik seine feinsten Momente. Marx, der blonde Gallier mit dem kantigen Gesichtsschnitt, spricht forsch bei der Fremdenpolizei vor und gibt sich dort als Verwandter des afrikanischen Onkels aus ("Ich bin der Albino in der Familie.")
Völlig ironiefrei schmückt Kaurismäki zuletzt sein glückliches Film-Ende mit blühenden Kirschblüten. Ganz im Sinne des Melodramen-Kinos wird dabei die Utopie auch als solche benannt. Mit dem wirklichen Leben hat das freilich wenig zu tun. Was aber sehr wohl bleibt, ist genau diese schmerzliche Diskrepanz - zwischen dem, was im Kino möglich scheint und im Leben nicht.
Alexandra Seibel
KURIER-Wertung: **** von *****
INFO: TRAGIKOMÖDIE, D/FL/F 2011. 93 Min. Von Aki Kaurismäki. Mit André Wilms.
"Aushilfsgangster" - Wirkungsvoll Rache nehmen am Ferrari
Betrüge nie deine Angestellten, denn die Rache kann verdammt süß sein.
Diese Erfahrung macht der arrogante Wall-Street-Hai Arthur Shaw, nachdem er mit lässiger Geste die Pensionsrücklagen der Angestellten im Luxus-Tower verspekuliert hat. Sie engagieren einen Schmalspurgangster, Slide, der dem Mega-Gangster im Nadelstreif zu Leibe rücken soll. Leider redet der mehr, als er dann tatsächlich tut.
Der dilettantische Häf'nbruder und die noch dilettantischeren Tower-Angestellten sind das Herzstück dieser Komödie, die einige große Namen Hollywoods versammelt: Ben Stiller spielt den Anführer der Betrogenen, Matthew Broderick - recht pummelig geworden - einen cleveren, aber frustrierten Bewohner, der im Schlafrock zu leben scheint. Köstlich Gabourey Sidibe, das dicke Unterschichtsmädchen aus "Precious", das hier mit glühender Wange und flinken Fingern die Safes knackt.
Eddie Murphy ist als dauerquasselndes Schlitzohr genau so wie im richtigen Leben: nervig und amüsant zugleich. Alan Alda stattet den Spekulanten Arthur Shaw mit der nötigen Fiesheit aus. Ach ja, und wie nimmt man am wirkungsvollsten Rache an einem Mann ohne Skrupel wie Shaw? - Genau, indem man seinen
Ferrari, sein Goldstück, demoliert. Gaaanz langsam und hingebungsvoll: Stock für Stock, Stück für Stück.
Es gibt sie ja doch noch, gute US-Komödien.
Susanne Lintl
KURIER-Wertung: **** von *****
INFO: KOMÖDIE, USA 2011. 105 Min. Von Brett Ratner. Mit Ben Stiller, Eddie Murphy, Alan Alda, Casey Affleck, Tea Leoni, Matthew Broderick.
"Real Steel" - Boxer, die nicht bluten
Es kracht und knirscht. Metallteile fliegen herum, bunte Lämpchen blinken. Das Ende ist nah, wenn Öl fließt. Eine fette Lache am Boden ist unbarmherziges Synonym fürs K.o.
Die Boxroboter sind los: "Transformer"-artige Blechmonster, die sich gegenseitig verhauen, bis die Schrauben locker sind. Die nicht bluten, sondern lecken. Die keine Cuts, sondern Motorschäden davontragen. Keine Gedächtnis-, sondern Softwarestörungen haben. Keinen Arzt, sondern einen guten Mechaniker brauchen. Schlägermaschinen wie "Rocky", nur robuster. Gefühl- und mitleidloser.
Kleine Buben (und solche, die es für immer geblieben sind) werden ihren Spaß haben an diesem lauten, zweistündigen Actionspektakel, das neben den erwähnten Kampfmaschinen auch mit einem schönen, bis in die letzte Muskelfaser durchtrainierten Hugh Jackman aufwarten kann. Die Rolle des liebenswerten Losers Charlie Kenton, der neben chronischem Geldmangel auch noch mit seinem bisher vernachlässigten, elfjährigen Sohn konfrontiert ist, liegt ihm.
Mit leuchtenden Augen lässt er die Robos tanzen. Boxt sich buchstäblich heraus aus seinem und seines Sohnes Elend. Damit seine Bewegungen echt aussehen - wie bei Wii-Spielen gibt er mit dem Steuermodul in der Hand genau die Bewegungen vor, die der Boxroboter dann ausführen muss -, hat Mr. Jackman sogar mit US-Boxlegende Sugar Ray Leonard trainiert. Die Plätze rund um den Kino-Boxring werden gut gefüllt sein, wetten? - S. Lintl
KURIER-Wertung: *** von *****
INFO: SCIENCE FICTION ,
USA 2011. 127 Min.
Von Shawn Levy. Mit Hugh Jackman, Evangeline Lilly, Dakota Goyo.
"Unter Kontrolle Die Gewalt der Atomkraft
Wie in einem Sci-Fi-Film von Kubrick sehen die Kontrollräume in den Atomkraftwerken aus, in denen Aufsichtsbehörden den Ernstfall proben. Knöpfe, Hebel, Schaltpulte - sie alle wollen von großer Ordnung erzählen und vermitteln doch nur das mulmige Gefühl von Unüberschaubarkeit. In seiner exzellenten Doku erzählt Volker Sattel von der Atomkraft und ihren (Un-)Möglichkeiten: In beinahe fantastisch anmutenden Bildern stellt er der Wuchtigkeit der Kraftwerksarchitektur eine Rhetorik der Kontrolle gegenüber. Ein gewaltiger Film - entstanden vor
Fukushima. - A. Seibel
KURIER-Wertung: ***** von *****
INFO: DOKU , D 2011. 98 Min. Von Volker Sattel.
KINO IN KÜRZE
"Höhle der vergessenen" -Träume
In den USA wurde der Film richtiggehend zum Kinohit: Regisseur Werner Herzog führt durch die französische Chauvet-Höhle, die Jahrhunderte lang verschüttet war, erst vor 15 Jahren von Kletterern wieder entdeckt wurde und für die Öffentlichkeit seither unzugänglich ist. Die Kamera gleitet die 30.000 Jahre alten Höhlenmalereien in 3-D entlang und nimmt den Zuschauer mit zurück in die Vergangenheit zur Geburtsstunde der Kunst und des denkenden Menschen. Zweifellos der bewegendste Film, den es je über das Paläolithikum gegeben hat. - Veronika Franz
KURIER-Wertung: **** * von *****
"Zwei an einem Tag"
Am 15. Juli 1988 lernt eine britische Studentin (die immer süße Anne Hathaway) ihren College-Kollegen (Jim Sturgess) kennen und geht - beinahe - mit ihm ins Bett. In letzter Sekunde überlegen es sich die beiden anders und beginnen eine jahrelange Freundschaft, die immer am 15. Juli eine entscheidende Wendung erfährt. Sie ist arm, ehrlich und witzig, er ist reich, oberflächlich und ein Frauenheld. Bis die beiden zueinander finden, muss man endloses, mitunter sehr pubertäres Plapper-Kino von Lone Scherfing über sich ergehen lassen - ehe alles in eine bittersüßen Schmonzette zerfließt. -as
KURIER-Wertung: ** * von *****
"Paranormal Activity 3"
Der dritte Teil des Horror-Mysterys startet.
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