Das legendärste Album des Rock-Genies veränderte mit der Story des Alien-Rock-Stars Musik und Gesellschaft, war aber nie als Konzeptalbum gedacht.
18.06.22, 18:00
Zehn Jahre hatte David Bowie schon Musik gemacht, mit „Space Oddity“ und „Changes“ zwar Hits gehabt, aber nie den großen Durchbruch geschafft. Das änderte sich mit dem Erscheinen seines Albums „The Rise and Fall of Ziggy Stardust and The Spiders from Mars“ am 16. Juni 1972, das den Londoner zum Superstar machte und die Glam-Rock-Ära begründete.
Bowie verarbeitete darin alle Einflüsse, die er in den Jahren davor aufgesaugt hatte: Die Schauspiel- und Pantomime-Fertigkeiten, die er sich angeeignet hatte, die rohen Rocksounds von Velvet Underground und Iggy Pop, die er liebte, und das androgyne Aussehen und den extravaganten Kleidungsstil derer, die er in den Untergrund- und Schwulen-Clubs traf, die er frequentierte.
Was er mit dem Album lieferte, war radikal anders, platze mit seinem Sound in eine Szene von Hippie-Klängen und auf den Markt zugeschnittenen Bands wie den Monkees. Das Album, hieß es, erzähle die Geschichte eines außerirdischen Rockstars, der auf die Erde kommt, um Hoffnung zu verbreiten, zu einer Art Messias wird und an dem Ruhm zugrunde geht.
Außenseiter und Teenager im Konflikt mit der Schule und ihren Eltern fühlten sich durch die Ziggy-Figur erstmals repräsentiert, verstanden und in eine Welt versetzt, die so viel bunter und aufregender war als die ihre. Und die LGBT-Community fand nur fünf Jahre nach der Entkriminalisierung von Homosexualität in Großbritannien ihre erste Identifikationsfigur.
Doch das „Konzept“ und die Story, sagt „Ziggy Stardust“-Produzent Ken Scott im KURIER-Interview, wurde erst später hineininterpretiert.
KURIER: Was war ihr erster Eindruck, als Sie David Bowie kennenlernten?
Ich habe ihn kennengelernt, als ich mit ihm als Tontechniker am „Space Oddity“-Album arbeitete. Ich sah in ihm einen unheimlich netten Typen mit einem gewissen Talent, dachte aber, der wird nie groß werden. Das hat sich aber bald geändert. Ich hatte David in einer Teepause erzählt, dass ich auch produzieren will. Er selbst wollte das auch, war aber unsicher und sagte: „Willst du für das nächste Album mein Co-Produzent sein?“ Zwei Wochen später spielte er mir bei mir zu Hause auf Kassetten mögliche Songs für „Hunky Dory“ vor. Erst da dachte ich, der hat das Potenzial, ein Superstar zu werden.
„Ziggy Stardust“ kam danach und war Bowies fünftes Album. Wie hat sich das Konzept entwickelt?
Da gab es nie ein Konzept. Das wurde meiner Meinung nach später hineininterpretiert. Das war zu der Zeit, als sich die Leute das „Paul is dead“-Zeug zusammenreimten. Da konstruierten sie daraus, dass McCartney auf dem Cover von „Abbey Road“ keine Schuhe anhatte, dass er tot ist. So haben sie sich auch bei „Ziggy Stardust“ ein paar Dinge rausgepickt und die Idee des Konzepts entwickelt.
Aber Bowie hat selbst darüber gesprochen, wie er den Charakter konzipiert hat.
Die Idee des Charakters war vielleicht da, aber während der Aufnahmen noch nicht so ausgeprägt. Vielleicht hatte er auch schon eine Story im Hinterkopf, darüber gesprochen hat er aber nie. Als wir es aufnahmen, war es einfach nur ein Bündel Songs. Das zeigt auch der Song „Starman“, der als Herzstück des Konzeptes gilt: Der war gar nicht drauf, als wir das Album der Plattenfirma übergaben. Die schickte uns aber zurück, sagte, da ist kein Hit dabei. Erst daraufhin schrieb David „Starman“. Und „It Ain’t Easy“ war ein Song, der uns von „Hunky Dory“ übrig geblieben ist.
Bowie sagte, er habe die Charaktere angenommen, weil er schüchtern war. Empfanden Sie ihn als schüchtern?
Überhaupt nicht. Er war der größte Performer, mit dem ich je gearbeitet habe. Und ich habe mit vielen von den Großen gearbeitet, darunter mit den Beatles, Elton John und Pink Floyd. Aber bei David sind 90 Prozent des Gesangs die ersten und einzigen Takes. Ich habe den Track ein wenig laufen lassen, dabei Sound und Lautstärke für die Aufnahme eingestellt. Dann hat David den Song einmal gesungen, und das ist das, was man auf den Platten hört. Als er „Five Years“ sang, strömten ihm am Ende die Tränen über das Gesicht, weil er so in dem Song und seinem Feeling drinnen war. Sein Gesang war nicht perfekt. Er traf vielleicht manchmal nicht ganz den richtigen Ton und war gelegentlich nicht perfekt im Timing. Aber es kam aus seiner Seele, und genau so sollte es sein. Heute produziert man den Gesang leider mit Auto-Tune und copy and paste, großartige Performances wie die von David hört man kaum mehr.
Wie schätzen Sie ihn als Songwriter ein?
Auch da war er unvergleichlich. Ich habe seine Melodien immer geliebt, weil sie eigentlich sehr komplex sind – genau wie die Songstrukturen. Er hat es aber immer geschafft, dass sie einfach und leicht zugänglich klingen.
Ziggys Entstehung in Bowies Worten
„Ich kniete mit Vince Taylor bei der Tottenham Court Road U-Bahnstation in London am Gehsteig und wir sahen uns eine Weltkarte an, auf der eingezeichnet war, wo all die UFOS landen werden. Vince hatte sie dort ausgebreitet und bestand darauf, sie mir zu zeigen. Ich dachte nur, was mache ich hier?“
Oft hat David Bowie in Interviews höchst amüsiert diese Story erzählt. Vince Taylor war nämlich eines der Vorbilder für seinen Ziggy-Stardust-Charakter.
„Taylor war ein Amerikaner, der wie Elvis sein wollte, hatte aber in den USA und auch in England keinen Erfolg, also ging er nach Frankreich“, erklärte Bowie weiter. „Eines Tages ging er dort in Jesus-Klamotten auf die Bühne und verkündete, dass er jetzt Christus sei. Ein ziemlich verrückter Typ! Er blieb mir aber immer im Gedächtnis als Beispiel dafür, was im Rock ’n’ Roll passieren kann. Ich bin nicht sicher, ob ich ihn als Idol sah, oder als etwas, was ich nicht werden wollte. Vermutlich war es ein bisschen von beidem.“
Den Vornamen Ziggy hatte Bowie von einem Schneider-Laden, den er beim Vorbeifahren in einem Zug gesehen hatte: „Ich mochte die Assoziation mit Iggy Pop und dachte, bei dem Ganzen geht es auch um Kleidung, also passt das.“
Albern Der Nachname kam von einem anderen von Bowies Favoriten: Von dem Rockabilly-Musiker Legendary Stardust Cowboy, der als Begründer des Psychobilly-Genres gilt und wie Bowie großes Interesse an Raumfahrt und dem Weltraum hatte. „Er lieferte unberechenbare Performances, und mir gefiel die Verbindung von Ziggy mit Stardust, weil es so albern ist“, erzählte Bowie. „Ziggy war also ein Konglomerat aus vielen Komponenten.“
Zum 50. Geburtstag von Ziggy Stardust sind zwei Vinyl-Neuauflagen des Albums erschienen. Eine, für die die Songs mit Half Speed neu gemastert wurden, eine andere als Picture Disc.
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