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Kultur

Hannas Töchter - Von Marianne Fredriksson

Das Buch hat den Geist der Zeit auf fast unheimliche Weise einfangen. In Schweden längst zu einem Klassiker der Frauenliteratur avanciert, beschreibt es die Zweifel der Frauen nach der Emanzipationsbewegung der 1970er-Jahre.

02/15/2012, 04:36 PM

Das Zitat ist zugleich der erste Satz des 1994 in Schweden erschienenen Romans „Hannas Töchter“. Die Schriftstellerin Marianne Fredriksson beginnt damit ihre Familiensaga über das Schicksal dreier Frauen aus drei Generationen. Es geht um die 1871 geborene Hanna, mit zwölf Jahren vergewaltigt und dafür ihr Leben lang als Hure verschrien, um ihre 1902 geborene Tochter Johanna und schließlich um Anna, die 1937 geborene Enkelin. Die Geschichte dieser drei Frauen, das Schicksal von Großmutter, Mutter und Tochter wird dabei nicht chronologisch erzählt, sondern in großartig inszenierten Rückblenden und Einschüben.

Der Roman setzt in den 1980er-Jahren ein: Anna, eine emanzipierte Journalistin und Schriftstellerin, besucht ihre bettlägerige Mutter Johanna im Pflegeheim. Die leidet an Alzheimer, erkennt ihre Tochter nicht und begreift nur in kurzen Momenten, dass ihr das Erinnerungsvermögen, und damit ihre Autonomie als Individuum, davongleitet. Dementsprechend schockiert und traurig ist Anna – die Konfrontation mit Alter und Tod zwingt sie zum ersten Mal, ihren Blick auf die Vergangenheit zu lenken: Wer war und ist Johanna, ihre Mutter, wirklich? Wie verlief ihr Leben, wie entwickelte sich ihre Identität? Anna forscht nach, entschließt sich, ein Buch über ihre Familie zu schreiben und entdeckt die Lebensnotizen ihrer Mutter. Johannas Aufzeichnungen in der Ich-Perspektive bilden im weiteren Verlauf einen besonders intimen Teil von „Hannas Töchter“. Überhaupt gelingt es Marianne Fredriksson, jeder ihrer drei Protagonistinnen eine überzeugend eigene Stimme zu verleihen: Neben Johannas bis zum Beginn ihrer Demenzerkrankung geführten Aufzeichnungen stehen die Beschreibungen von Hannas Leben: Einfache Sätze, keine Ich-Perspektive, harte, knappe Beschreibungen, die das entbehrungsreiche Leben Hannas so gelungen wie eindringlich einfangen. Annas Sprache schließlich – ebenfalls in der dritten Person dargestellt – ist wortgewandt und von ausgefeilter Syntax. Schon auf dieser sprachlichen Ebene wird klar: Hier spricht eine moderne Frau. Wie ein Musikstück mit drei Themen, so klingen die Stimmen der drei Frauen im Roman miteinander.

 

Nicht nur in Schweden wurde „Hannas Töchter“ zu einem Bestseller. Marianne Fredriksson veröffentlichte ihr bekanntestes Buch im Alter von 67 Jahren. Und wenn sie auch in ihrem Vorwort jeglichen autobiografischen Bezug leugnet, fallen doch Parallelen auf: Die in Göteborg geborene Schriftstellerin stammte aus einer Arbeiterfamilie, arbeitete seit den 1940er-Jahren bei einer Lokalzeitung und erkämpfte sich langsam den Ruf einer mitreißend schreibenden Journalistin. Auch ihre Heirat und die Geburt zweier Töchter verhindern nicht, dass Fredriksson sich weiter engagiert. Mehr als dreißig Jahre arbeitet sie für Zeitungen und Zeitschriften, kämpft um Anerkennung, bis sie 1980 mit ihrem Roman „Eva“ als Schriftstellerin debütiert. Bis zu ihrem Tod im Jahr 2007 schrieb sie noch weitere 13 Romane. Wie ihre Heldin Anna in „Hannas Töchter“ war Marianne Fredriksson eine Frau, die hartnäckig um ihre Rechte kämpfte und die Gesellschaft ein Stück weit veränderte.

Es gibt Bücher, die den Geist der Zeit auf fast unheimliche Weise einfangen – „Hannas Töchter“ ist so ein Buch. In Schweden längst zu einem Klassiker der Frauenliteratur avanciert, beschreibt es die Zweifel der Frauen nach der Emanzipationsbewegung der 1970er-Jahre. Und die Männer? Mancher kritisierte, sie lasse ihre männlichen Figuren zu Stichwortgebern verkommen. Die Autorin antwortete eindeutig: „Die haben gar nichts verstanden.“

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