Noch ein Tässchen Tee bitte

Das war also die " Lohengrin"-Premiere an der Wiener Staatsoper: von Christian Thielemann musikalisch grandios betreut, vom Staatsopernorchester atemberaubend gut gespielt.
Naja, nicht ganz. Statt Richard Wagners " Lohengrin" wurde Engelbert Humperdincks "Hänsel und Gretel" gespielt, und das kam so:
Als Thielemann mit der Sächsischen Staatskapelle Dresden die Salzburger Osterfestspiele übernahm, weil sich die Berliner Philharmoniker nach Baden-Baden abgesetzt hatten, musste er aus terminlichen Gründen seine Teilnahme an der " Lohengrin"-Premiere zu Ostern 2014 an der Wiener Staatsoper absagen. Als Ersatz dafür, quasi als Zuckerl für die Wiener Thielemann-Jünger, wurde damals eine Neuproduktion von "Hänsel und Gretel" gewählt.
Meisterwerk
Was viele anfangs wohl für den schlechten Witz eines Kindskopfes gehalten hatten (na gut, wenn’s keinen Schweinsbraten gibt, dann halt doch das vegane Menü), stellte sich als topseriöses Plädoyer für ein Meisterwerk, das gar nicht so wenig mit Wagner zu tun hat, heraus. Dank dieses Klangmagiers am Pult schaut der Bayreuther Gigant ständig um die Ecke, und man glaubt, Humperdinck trüge bereits ein Barrett. Wagner, Wagner, überall Wagner. Man hört die "Meistersinger", man hört "Tannhäuser" (" Lohengrin" vielleicht etwas weniger) – man hört Humperdinck, wie man ihn nirgendwo besser hören wird: Hochsensibel von den ersten Hörnklängen an, hochdramatisch, höchst kultiviert, höchst farbenreich, höchst ausgefeilt, höchst raffiniert in den Rubati, ein Hoch auf diese orchestrale Leistung! Noch lange wird man davon sprechen: Hast damals "Hänsel und Gretel" mit Thielemann gehört?
Der Rest wäre besser Schweigen (was phasenweise sogar erfüllt ist, weil man die Sänger kaum hört).
Die Besetzung ist leider nur Mittelmaß. Zur Verteidigung sei daran erinnert, dass es im Vorfeld viele Umbesetzungen gab. Elisabeth Kulman war ursprünglich vorgesehen, Chen Reiss, auch Adrian Eröd. Letzterer musste noch am Tag der Premiere krankheitshalber absagen, womit Clemens Unterreiner als Peter Besenbinder zu Ehren kam, aber bekanntlich kehren ja nicht alle neuen Besen besser. Er ist, wie auch Janina Baechle als Gertrud, hier keinesfalls ideal aufgehoben.
Ileana Tonca ist die Gretel mit süßem, aber recht kleinem Sopran, Daniela Sindram als Hänsel singt etwas markanter, spielt aber behäbig. Dass Sandmännchen und Taumännchen von einer Sängerin (Annika Gerhards) gesungen werden, ist nicht im geringsten plausibel.
Auch die Hexe von Michaela Schuster, die ihre dramatische Kraft diesfalls nicht auszuspielen vermag, enttäuscht gesanglich – und vor allem darstellerisch. Sie erinnert optisch mit Perücke und Brille etwas an Innenministerin Johanna Mikl-Leitner. Sie wirkt aber eher wie ein liebes Au-Pair-Mädchen oder eine Haushälterin, von der man sich zum Plätzchen noch ein Tässchen Tee wünscht.
Very british
Ja, Afternoon-Tea-Atmosphäre statt Bedrohung im Wald: Die Inszenierung von Adrian Noble ist very british, kultiviert, jedoch voller Klischees, ohne jedes Gefahrenmoment und frei von Analysen. Noble stellt das Märchen in die Rahmenhandlung einer englischen Familie, deren Kinder dank einer Laterna magica in eine andere Welt eintauchen. Die Scherenschnitt-Optik der Bäume ist ganz hübsch, die Kostüme sind sehr altmodisch. Da ist die alte Karl-Dönch-Inszenierung an der Volksoper interessanter und technisch ambitionierter. Auch die Personenführung wirkt altbacken wie ein harter Lebkuchen, das "Brüderchen, komm tanz mit mir" ist choreografisch beeindruckend einfältig.
Britisches Understatement statt kraftvoller Bilder. Very nice indeed, isn’t it?
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