Großer Diagonale-Spielfilm-Preis an "Ich seh Ich seh"

Eine Mutter, die nach einer Schönheits-OP nicht wieder zu erkennen ist: Die hervorragende Susanne Wuest in dem Horrorfilm "Ich seh Ich seh" von Veronika Franz & Severin Fiala.
Dokumentarfilm-Preis an Nikolaus Geyrhalter für "Über die Jahre"

Veronika Franz und Severin Fiala haben beim Filmfestival Diagonale 2015 mit "Ich seh Ich seh" den Großen Diagonale-Preis in der Sparte Spielfilm gewonnen. Der ebenfalls mit 21.000 Euro dotierte Große Dokumentarfilm-Preis geht an Nikolaus Geyrhalter für "Über die Jahre". Die mit je 3.000 Euro dotierten Schauspielpreise gehen an Ulrike Beimpold ("Superwelt") und Murathan Muslu ("Risse im Beton").

Der Festival-Eröffnungsfilm "Superwelt" von Karl Markovics gewann zudem die Kategorien "Bildgestaltung Spielfilm" (Michael Bindlechner) und "Szenenbild Spielfilm" (Isidor Wimmer). Der Diagonale-Preis Innovatives Kino (9.500 Euro) wurde laut Aussendung des Festivals Sasha Pirker und Lotte Schreiber für "Exhibition Talks" zuerkannt. Der Kurzspielfilm-Preis ging bei der Preisverleihung am Samstagabend im Orpheum Graz an Jannis Lenz für "Schattenboxer", der Kurzdokumentarfilm-Preis an Lisbeth Kovacic für "minor border" und der Diagonale-Preis der Jugendjury (jeweils mit 4.000 dotiert) an Lukas Valenta Rinner für "Parabellum". Den "Preis Innovative Produktionsleistung" (10.000 Euro) teilen sich Allegro Film für "Das finstere Tal" und FreibeuterFilm für "Macondo".

Horror im Alltäglichen

Der Horrorfilm "Ich seh Ich seh" ist der Debütspielfilm von Veronika Franz und Severin Fiala, ein Genrekino, bei dem der Horror dem Alltäglichen entspringt. Er handelt von einer Frau, die nach einer Gesichts-Operation mit einem Kopfverband nach Hause zurückkehrt. Ihre beiden Zwillingssöhne sind sich bald sicher, dass es sich bei ihr nicht um ihre Mutter handeln kann. Der Film feierte seine Weltpremiere bei den Filmfestspielen von Venedig und wurde bereits beim Filmfestival Ljubljana mit dem Hauptpreis ausgezeichnet. Geyrhalters Doku "Über die Jahre", die heuer in der Sektion Panorama der Berlinale Premiere hatte, begleitet arbeitslose Textilarbeiter im Waldviertel und setzt sich in 188 Minuten nicht nur mit der Arbeitswelt einer strukturschwachen Region, sondern auch mit dem Stellenwert der Arbeit im Leben des Menschen auseinander.

Die diesjährige Diagonale geht Sonntag Abend zu Ende – und Bedauern kommt auf bei dem Gedanken, dass es die letzte sein wird, die von der kompetenten und engagierten Festivalleiterin Barbara Pichler ausgerichtet worden ist. Pichler beendet heuer ihre Intendanz auf eigenen Wunsch und hinterlässt ihrem Nachfolger-Duo Sebastian Höglinger und Peter Schernhuber ein brummendes, bestens aufgestelltes Festival.

Dass es aber auch ein Leben nach der Diagonale gibt, weiß man nicht zuletzt von Ex-Diagonale-Chef Constantin Wulff, dessen neue Doku "Wie die anderen" in einem knallvollem Saal seine Premiere feierte. Wulff lieferte einen weiteren Beweis für die Stärke und Vielfalt des heimischen Doku-Films, der auf der Diagonale wieder starke Auftritte lieferte. Im Stil des "Direct Cinema" – das heißt, filmen ohne inszenatorisch einzugreifen – beobachtet Wulff die täglichen Arbeitsroutinen in der Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie im Landesklinikum Tulln.

"Ich wollte andere Psychiatrie-Bilder liefern, als solche, wie wir sie aus dem Hollywood-Kino oder aus dem 19. Jahrhundert kennen", erläuterte Wulff seinem gebannten Publikum. Was nicht heißt, daß wir nicht durchaus auch Zeugen harter Situationen werden – etwa, wenn eine agitierte Patientin mit Hilfe von Pflegern "fixiert" – sprich: ans Bett geschnallt werden muss. Doch Wulff verzichtet auf reißerische Höhepunkte und bettet selbst diese dramatischen Momente unaufgeregt in den Fluss seiner Beobachtungen.Wiederholt wohnt die Kamera auch den Teambesprechungen von Ärzten und Betreuern bei: Mit ihrem Chef, dem Psychiater und Schriftsteller Paulus Hochgatterer, diskutieren die Kollegen ihren Berufsalltag – manchmal auch ziemlich heftig.

"Ich wäre so gern wie die anderen", sagt ein Bub gleich zu Beginn des Films zu seiner Therapeutin. Dieses Ringen darum, werden zu können "wie die anderen" – das erzählt Wulff als ein emphatisches Miteinander zwischen Betroffenen und Betreuern.

Leichen am Land

Fast schon Tradition könnte man die Premiere der ORF-Landkrimi-Reihe auf der Diagonale nennen. Jedes Bundesland hat seine Toten: 2013 präsentierte Wolfgang Murnberger "Steirerblut", danach folgte der Niederösterreich-Landkrimi "Die Frau mit einem Schuh" des im letzten Jahr verstorbenen Regisseur Michael Glawogger.

Heuer gab es gleich zwei Landkrimi-Premieren: In Barbara Eders "Kreuz des Südens" verschlägt es Andreas Lust als Polizist ins Südburgenland. Andreas Prochaska ("Das Finstere Tal") wiederum knöpft sich das Bundesland Kärnten vor und gönnte sich mit "Wenn du wüsstest, wie schön es hier ist" eine beißende Provinz-Satire. Erneut beweist sich Prochaska dabei als blendender Genre-Stilist mit spritzigen Inszenierungsideen und einfallsreicher Bildgestaltung.

Gleich zu Beginn wird das vermeintliche Idyll einer Kärntner Dorfgemeinschaft durch das Auffinden einer Mädchenleiche gestört. Dorfpolizist Muck muss die Sache "beamtshandeln" – und erhält Hilfe von einem scharfzüngigen Klagenfurter Chefinspektor. Der prangert den "Marktgemeinderassimus" der Dörfler an und bringt den netten Muck in argen Zwiespalt. Sogenannte Freunde entlarven sich als faschistoide Schläger und ein nackter Hintern mit Stern-Tattoo verrät sich beim "Oberkärntner FKK-Treffen".

"Wenn du wüsstest, wie schön es hier ist" leidet letztlich an seiner überspannten Krimi-Handlung. Trotzdem bleibt er bis zuletzt sehr ansehnlich – im rasanten Finale der Diagonale.

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