Yoko Ono reichte den Apfel und John Lennon biss hinein

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Yoko Ono war ihrer Zeit voraus und blieb eine Träumerin: Die tolle Retrospektive „Music Of The Mind“ im Gropius Bau Berlin

Mitte der 1970er-Jahre erfanden drei Computernerds in Kalifornien den Apple. Aber schon Jahre vor „Apple Inc“, im Jänner 1968, hatten die Beatles Apple gegründet. Auf einer Pressekonferenz im April stellten John Lennon und Paul McCartney das Unternehmen „Apple Corps“ vor.

Wie die Gruppe auf den Namen kam, erzählt man in der Regel so (auch auf Wikipedia): Paul McCartney wurde Mitte der 60er-Jahre auf die Werke von René Magritte aufmerksam und beauftragte den Kunsthändler Robert Fraser, ihm ein Bild des belgischen Surrealisten zu besorgen. Fraser lieferte „Le Jeu de Mourre“ aus 1966, auf dem ein Apfel mit der Aufschrift „Au revoir“ abgebildet ist. Der Apfel soll die Namensgebung und die Gestaltung des Logos – ein grasgrüner Granny Smith – inspiriert haben.

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1968: John Lennon & Yoko Ono;
 

Die Geschichte lässt sich aber auch ein bisschen anders erzählen. Über Yoko Ono. Die Künstlerin, Musikerin und Aktivistin, 1933 in Tokio geboren, zog 1956 nach New York. Bereits 1960 war sie eine prägende Figur der dortigen Avantgardeszene. Schon sehr früh entwickelte sie z. B. Handlungsanweisungen, denen das Publikum folgen konnte. In der grandiosen Retrospektive, die noch bis 31. August im Gropius Bau in Berlin (als Kooperation mit der Tate Modern) zu sehen ist, gibt es jede Menge davon. Sie endet mit der Aufforderung: „Schreib Deine Gedanken zu Deiner Mutter auf.“ Die Wände des Saals gehen geradezu über mit angeklebten Liebes-Botschaften.

In den ersten Räumen sieht man viel Doku-Material über erste Performances und Experimentalfilme; Yoko Ono war ihrer Zeit weit voraus. Dann ging es nach London. Im September 1966 sprach sie beim „Destruction in Art“-Symposium über die Merkmale ihrer partizipativen Kunst: das Performative, das Alltägliche, das Persönliche, das Bruchstückhafte und das Unfertige. Dabei beschrieb sie Kunst als Motor für Veränderung und betonte die Rolle der Vorstellungskraft.

Das Spiel spielen

Im November 1966 präsentierte die Indica Gallery in London die Schau „Unfinished Paintings & Objects by Yoko Ono“. Die Künstlerin zeigte weiße und durchsichtige Objekte, die sie als „unvollendet“ bezeichnete. Und sie forderte die Besucher auf, die Werke physisch oder in ihrer Vorstellung zu vervollständigen. Ausgestellt war auch ein weiß bemaltes Holzbrett, in das man mit einem Hammer (an einer Kette) Eisennägel einschlagen konnte – auch diese Arbeit gibt es als eifrig genutzte Rekonstruktion im Gropius Bau.

Am Tag vor der Eröffnung kam John Lennon. Er fragte Yoko Ono, ob er einen imaginären Nagel in ihr „Painting to Hammer a Nail“ schlagen dürfe. Und sie dachte sich: „Da habe ich wohl einen Typ kennengelernt, der dasselbe Spiel spielt wie ich.“

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1966 in London: Installation „Apple“, Lennon biss hinein.  

Aber es kam noch besser: Der Käufer der Installation „Apple“ erwarb für 200 britische Pfund „das aufregende Erlebnis, dem Apfel beim Verfaulen zuzusehen“. (Maurizio Cattelan verdiente sich Jahrzehnte später mit einem ähnlichen Ansatz, aber einer anderen Frucht eine goldene Nase.) John Lennon torpedierte die Sache: Er biss in den Apfel, obwohl das nicht Sinn und Zweck des Werks war.

Im Gropius Bau ist der Plexiglas-Sockel mit dem Etikett „APPLE“ ausgestellt. Und darauf lag beim Ausstellungsbesuch ein grasgrüner Granny Smith. Ob schon Yoko Ono einen solchen verwendet hat, erfährt man nicht. Vielleicht ist es auch nur eine Anspielung der Kuratoren auf das Logo von Apple Records?

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1967: „Wrapping Piece“ von Vorreiterin Yoko Ono.

Der erste Beatles-Tonträger, der auf dem Apple-Label erschien, war die Single „Hey Jude“ im August 1968, das erste Album das Soloprojekt „Wonderwall Music“ von George Harrison am 1. November. Kurz darauf – am 11. November 1968 – folgte das erste gemeinsame Album von John Lennon und Yoko Ono, „Unfinished Music No.1: Two Virgins“. Und die erste LP der Beatles, die das Apple-Logo trug, war das namenlose „Weiße Album“, veröffentlicht am 22. November 1968.

Der Firmensitz von Apple befand sich in der Savile Row Nr. 3 in London. Dort befand sich auch das Apple Studio, in dem 1969 das Album „Let It Be“ samt Doku entstand. Damals soll es extrem viel Streit gegeben haben. Vielleicht war es wirklich so: Yoko Ono reichte John Lennon den Apfel der Erkenntnis – und damit begann das ganze Unheil.

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Was die Schau „Music Of The Mind“ aber zeigt: Welch enormen Einfluss Yoko Ono auf ihren späteren Ehemann ausübte. Sie prägte die gemeinsamen Arbeiten – vom „Bagism“ bis zur weltweiten Plakat- und Inseratenaktion „War Is Over“. Den beiden ging es um den Frieden, sie waren vielleicht naiv.

Mit weißen Figuren

John Lennon wurde erschossen, aber Yoko Ono hat den Traum nie aufgegeben. Im Gropius Bau hängen Wehrmacht-Helme von der Decke, darin blaue, sanft bewölkte Puzzleteile: „Nimm Dir ein Stück des Himmels. Sei Dir bewusst, dass wir alle Teil voneinander sind.“ Die Farbe Blau taucht neben Weiß (z. B. ein Schachspiel nur mit weißen Figuren, damit man durcheinanderkommt) immer wieder auf.

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Ein Schlachtfeld der Slogans: Man kann zwar auch „Stoppt Antisemitismus“ lesen, weit öfter aber liest man „Free Palestine“. 

So liegt in einem Saal ein Boot aus Holz, ergänzt um den Satz „Einfach blau / wie das Meer“ und die Handlungsanweisung „Füg Farbe hinzu (Geflüchtetenboot)“. Mit blauen Filzstiften haben die Besucher alles bekritzelt. Und sich in einen Krieg der Anschauungen geliefert. Man liest zwar „Stoppt Antisemitismus“, weit öfter aber „Free Palestine“. So einfach ist es doch nicht, wie Yoko Ono es gerne hätte. Auch wenn sie im überdachten Innenhof riesengroß das Banner „PEACE is POWER“ aufhängen ließ.

PS. Auch die Neue Nationalgalerie in Berlin würdigt Yoko Ono - mit der Ausstellung "Dream Together". Der Schwerpunkt liegt auf Partizipation (man darf unter anderem Kraniche falten) und Friedensbotschaften. Man stößt, wie im Gropius Bau, auf das weiße Schachspiel ("White Chess Set") und die weltweite Antikriegskampagne "War Is Over! If you want it." Die Schau ist weit kleiner, aber sie läuft länger - bis 14. September.

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