Grödner Tal: Wie ein Holzpuppe aus Südtirol die Welt eroberte

Sie will Freude geben: Judith Sotriffer stellt in Handarbeit nicht nur die stilisierte Grödner Puppe her, sondern auch anderes Holzspielzeug, darunter Pinocchios.
Zusammenfassung
- Judith Sotriffer revitalisiert die historische 'Dutch Doll', die einst das British Empire eroberte.
- Die Grödner Holzbildhauerei hat eine lange Tradition, die bis ins 17. Jahrhundert zurückreicht.
- Sotriffer betont die Identität der Puppen aus Zirbenholz und bietet lebenslange Garantie.
Im Grödner Tal bietet – gefühlt – jedes dritte Geschäft Holzschnitzereien an, darunter massenweise Krippenfiguren. Und im Zentrum von St. Ulrich präsentieren sich gleich 52 Holzschnitzer unter einem Dach. Da entdeckt man auch Kitsch, Skulpturen im Stil von Gustav Klimt zum Beispiel. Oder eine Holzlederhose. Aus dem riesigen Angebot stechen die Gliederpuppen von Judith Sotriffer geradezu heraus. Denn die sympathisch-heitere Künstlerin greift auf eine Tradition zurück – und interpretiert sie mit schlichter Eleganz neu.
"Das hat einfach geprägt"
Judith Sotriffer, Mitte 60, ist die Tochter eines Bildhauers, und ihre Mutter verkaufte gutes Spielzeug: „Wir hatten das Geschäft im Haus – und die Werkstatt: Ich war mal da, mal dort. Das hat einfach geprägt.“ Vier Jahre lang machte sie bei ihrem Vater die Bildhauerei-Lehre. Das war eine konfliktreiche Zeit, aber: „Ich hab’ durchgehalten.“

Sevi Holzspielzeug im Museum von St. Ulrich
Die Ursprünge der Grödner Holzbildhauerei reichen ins frühe 17. Jahrhundert zurück. Schon bald erlangte sie mit Heiligenstatuen, Kruzifixen und Altären überregionale Bedeutung. „Die Leute mussten sich was dazuverdienen, um zu überleben. In anderen Tälern haben sie geklöppelt oder gestickt, im Stubaital Stemmeisen gefertigt“, erzählt Judith Sotriffer.
Über Amsterdam und London in alle Welt
„Und hier haben sie angefangen, auch alltägliche Sachen zu schnitzen – für die Kinder. Der Anfang war das Pferd und die Puppe.“ Das geschah in Heimarbeit. „Die Familien waren groß, jeder hat mitgeholfen, und einer ist mit der Kraxn aus dem Tal, um die Sachen zu verkaufen. Und so sind die Grödner weit gekommen – bis nach Amsterdam. Dort haben sie einen Großhändler gefunden. Und der hat die Puppe dann als ,Dutch Doll‘ verkauft. Denn: Wer hat damals schon Gröden gekannt?“

Kinderbuch-Illustration: „The Adventures of two Dutch Dolls“.
Die Puppe kam in England extrem gut an, Queen Victoria soll 138 Exemplare gehabt haben. „Sie hat mit ihrer Erzieherin die Kleider für die Puppen genäht.“ Denn die Geschöpfe waren „nackt“: Die Grödner bemalten nur die Unterschenkel und Unterarme, das Gesicht und die Schultern cremefarbig. Die Basis lieferte Kalk aus der Nähe von Wolkenstein; mit den gekauften Farbpigmenten für Augen, Mund und Wangen ging man ziemlich sparsam um.

Die „Dutch Doll“ verbreitete sich über das gesamte British Empire bis nach Australien. Sie fand auch Eingang in die Kinderliteratur: In „The Tale of Two Bad Mice“ (1904) von Beatrix Potter dringen zwei Mäuse in ein Puppenhaus mit der „Dutch Doll“ ein. Und Florence K. Upton erzählte in „The Adventures of Two Dutch Dolls“ von ihr – zusammen mit der Aborigines-Figur Golliwogg.
Gründe für den Niedergang
Doch dann kamen Puppen aus Papiermasché in Mode, mit den aus Gummi Gegossenen konnte das Holzspielzeug preislich schon gar nicht mithalten. „Nach dem Ersten Weltkrieg ging die Nachfrage zurück, seit der Weltwirtschaftskrise wurden keine Puppen mehr produziert.“ Überlebt hat nur der Pinocchio, 1881 erfunden.

Museum Gherdëina von Gröden: Gliederpuppen-Mustertafel.
Trenker und Moroder
Die Grödner Puppe kam ins Museum, konkret ins Museum Gherdëina von St. Ulrich. Dort wird den großen Söhnen, dem Bergsteiger Luis Trenker und dem Disco-König Giorgio Moroder, gehuldigt – und dem Holzspielzeug breiten Raum gewidmet. Ausgestellt sind unter anderem das ganze Sortiment von Sevi (1831 gegründet) – und auch eine Gliederpuppen-Mustertafel. Der österreichische Fotograf Gerhard Trumler bat Sotriffer Mitte der 1980er-Jahre, eine solche Puppe zu machen. „Und so habe ich eben angefangen.“
Rumpf und Kopf werden aus einem Stück gedrechselt, das Näschen und die seitlichen Locken eingepasst. Die Arme und Beine sind Holzstäbe, als Scharniere dienen dünne Stifte (Zahnstocher!).
Anreise Mit dem Zug bis Bozen, von dort mit Regionalbus, Taxi oder Südtirol Transfer in die Dörfer Grödens. suedtiroltransfer.com
Gröden gibt’s nicht Eigentlich gibt es in Südtirol nur das Grödner Tal (Val Gardena) mit St. Ulrich, St. Christina und Wolkenstein. Dreisprachige Ortstafeln, hier wird auch Ladinisch gesprochen. Der urspr. Name von St. Ulrich lautet Urtijëi (Ital. Ortisei) – und bedeutet „Brennnesselfeld“, das trockengelegt wurde. Der deutsche Name geht auf die kath. Pfarrei zurück. valgardena.it
Seiser Alm und Dolomiten Der Blick auf die Geisler-Spitzen ist ein Top-Fotomotiv. Von St. Ulrich gelangt man auf die Seiser Alm (größte Alm Europas). Der 7. 6. und 13. 9. sind „Sellaronda Bike Days“: Die vier Dolomitenpässe rund um die Sella sind für Fahrradfahrer reserviert.
Ob diese filigranen, recht teuren Figuren zum Spielen nicht eher ungeeignet sind? „Kaputtmachen kann man alles“, sagt Sotriffer. „Aber bei Holz kann man auch alles flicken. Darum haben meine Puppen lebenslange Garantie. Also – solange ich lebe.“
Die Puppen sind genderneutral: „Immer schon hat man den Körper auch bubenhaft oder männlich angezogen!“ Judith Sotriffer hofft, dass sie individualisiert werden: „Wenn man in ein Objekt etwas reingibt von sich, ist die Beziehung größer. Dann hat man viel mehr Freude dran. Und das Wichtigste ist mir, dass ich Freude gebe.“
Ach ja: Die Puppe ist aus Zirbenholz. Und das sei wie eine Identitätskarte, sagt Sotriffer. Denn die Zirbe wächst nicht im Flachland. „Damit ist klar, dass die Grödner Puppe keine holländische sein kann. Auch wenn die Holländer darauf beharren, dass sie ihre Puppe ist.“
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