Gegen Moskau – aber nicht gemeinsam: Ukrainerin meidet Baschkirin

Eine skulpturale Ratte klettert an einer Wand in einem opulenten Saal mit Deckenmalerei.
Trenklers Tratsch: Das „European Artists Solidarity Program“ von Simon Mraz und die unerwarteten Komplikationen

In der hallenden Aula der Akademie der bildenden Künste steht neuerdings ein kleiner White Cube. Unvermittelt wurde auch er zum Schauplatz des Krieges, den Wladimir Putin vor bald zwei Jahren gegen die Ukraine begann. Denn bis Ende der kommenden Woche präsentiert er hoch politische Arbeiten.

Auf den ersten Blick hin scheint alles friedlich. An der Außenwand hängt eine Wölfin aus Filz mit freiliegenden Gedärmen von XY (die Künstlerin bat im Nachhinein um Anonymisierung - in Sorge um ihre Familie in Russland). Und im Kubus sieht man eine rasante Abfolge von Filmschnipseln. Bei ihrer Flucht aus der Ukraine konnte Zoya Laktionova das Familienarchiv retten. Es bildet den Ausgangspunkt für die Doku „Ashes That Settle In Layers On The Surface“ über ihre von den Russen zerstörte Heimatstadt Mariupol. Sie will, so erfährt man, die Geschichte über den Aufstieg und die Folgen des Totalitarismus erzählen. Durchsetzt ist das Video mit Makroaufnahmen des Staubs, der sich auf den Negativen bzw. Filmstreifen abgelagert hat.

Ein Mann mit Brille lächelt vor einem Gebäude mit der Aufschrift „L’Osteria“.

Unterstützte in Moskau regimekritische Künstler: Simon Mraz 

Ermöglicht wurden die beiden Arbeiten vom Außenministerium, konkret von Simon Mraz, dem ehemaligen Kulturattaché in Moskau. Er wollte Künstlerinnen und Künstlern, die aufgrund des Krieges nicht mehr in der Heimat tätig sein oder ausstellen können, helfen. So ersann er das „European Artists Solidarity Program“, kurz ASoP. Ziel ist es, Kunstschaffende vornehmlich aus Belarus, der Ukraine und dem europäischen Teil Russlands an renommierte Institutionen in Österreich – von der Musikuni MDW bis zur Secession und dem KHM – zu bringen. Im Laufe von drei Monaten sollen sie ohne Existenznöte konkrete Projekte entwickeln, die danach auch in den österreichischen Kulturforen gezeigt werden.

Mraz fand in Helga Rabl-Stadler eine engagierte Mitstreiterin. Die ehemalige Präsidentin der Salzburger Festspiele fungiert schließlich als Beraterin der Auslandskultur. Um das seit einem Jahr laufende Programm vorzustellen, luden die beiden zu einem Pressegespräch ein. Jedes Stipendium ist mit 13.500 Euro dotiert (allerdings gehen 1.200 Euro an den Betreuer in der jeweiligen Institution). Die Laufzeit von drei Monaten liege quasi auf der Hand, da für diesen Zeitraum kein Visum erforderlich ist.

An dem Gespräch hätten auch die beiden Künstlerinnen teilnehmen sollen. Doch nur XY kam: Zoya Laktionova weigerte sich, mit einer „Russin“ aufzutreten. Es herrscht eben Krieg.

XY ist aber gar keine richtige „Russin“, sondern Baschkirin. Ihre Heimat, das für Honig bekannte Baschkortostan, liegt westlich des Urals. Die Mütter dort leisteten massiv Widerstand gegen die besonders starke Mobilisierung: Die Söhne sollten nicht als Kanonenfutter dienen.

XY setzt sich in ihren Skulpturen mit der Russifizierung von Ethnien und dem antikolonialistischen Aufbegehren auseinander. Sie verwendet Materialien, die in ihrer Kultur wichtig sind, wie etwa Filz. Der äußere „Feind“ ist also im Prinzip der gleiche wie jener von Zoya Laktionova.

Warum XY, 1992 geboren, das Stipendium bekam, ist dennoch nicht ganz logisch. Denn sie arbeitete ab 2017 in verschiedenen Theatern Russlands und nahm 2020 an der zweiten Triennale des Moskauer Gegenwartskunstmuseums Garage teil. Bereits seit Oktober 2021 studiert sie an der Akademie in Wien. Sie kann also gar kein Opfer des Krieges sein.

Mraz kann die Einwände nachvollziehen. Er bekennt sich dennoch zur Unterstützung. Denn heute könnte XY sicher nicht mehr in Russland arbeiten.

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