"G'schwind schauen, g'schwind malen"

Man kann kaum behaupten, Marta Jungwirth wäre bislang niemandem aufgefallen. Bereits 1968 stach sie wie eine „Krokodilin im Karpfenteich“ aus der vom Phantastischen Realismus geprägten Wiener Kunstszene hervor.
Nicht nur der 20er-Haus-Direktor Alfred Schmeller, der dieses Sprachbild prägte – und die Malerin wenig später heiratete – erkannte ihr Kaliber. Dass Jungwirth fünf Jahrzehnte auf ihre erste große institutionelle Einzelausstellung warten musste, tut ihr eigentlich unrecht. Gerade angesichts der Werke, die jetzt in der Kunsthalle Krems in einer großen Retrospektive zu sehen sind, wird das offensichtlich.
Feine Linie
Mit Leihgaben aus privaten und öffentlichen Sammlungen sowie nie gezeigten Werken aus dem Archiv der Künstlerin dokumentiert die von Hans-Peter Wipplinger kuratierte Schau die Entstehung eines Oeuvres von den 1960ern bis zur Gegenwart. Ob in Aquarellen, Zeichnungen oder Ölgemälden: stilistisch umschwärmt Jungwirth stets die feine Linie zwischen gestisch-abstrakter und gegenständlicher Malerei.
Es ist nicht widersinnig, dass Jungwirth Ende der 60er-Jahre zur Gruppe der „Wirklichkeiten“ gezählt wurde. Ihre ungestümen Pinselstriche und wirbelnden Farbflecke bilden nicht ab. Und doch streben sie danach, die Welt einzufangen, zeitlich bedingte Befindlichkeiten aufzuzeichnen. Dabei ist ein Augenblick nie genug.
Ob direkt aus dem Moment oder aus der Erinnerung gemalt – in Jungwirths Bildern überlagern sich immer mehrere Momentaufnahmen, die sich nie säuberlich überlappen. Sie tragen die Spuren der Zeit, des Zufalls und ihres Entstehungsprozesses in sich.
Keine stillen Stillleben
Bei den Grafiken der 70er-Jahre ist es vielleicht am eindrücklichsten: Hier ballen sich hauchzarte Haarlinien zu wattigen Formen, die Spuren oftmals wiederholter Gesten verdichten sich auf dem Papier zu kräftig farbigen Körpern und bringen die Stillleben in einer Art Bewegungsunschärfe zum Vibrieren. Die Teekanne, der Druckkochtopf und die anderen Utensilien, die Jungwirth in der Serie „Aus meiner schwarzen Küche“ auf naturfarbenem Papier festhält, scheinen sich diesem Festgehaltenwerden zu widersetzen: Es sind Stillleben, die nicht stillhalten wollen.
Die nach einer Geschirrspülermarke benannte „ Indesit“-Serie kombiniert die feinen Liniengerüste technischer Entwurfszeichnungen mit abstrakten Pigmentbäuschen. Man meint, invertierten Röntgenbildern gegenüberzustehen, die Vibrationen der in Betrieb stehenden Geräte aufgenommen haben.
Aus gewöhnlichen Objekten das Besondere herauszuarbeiten, ist eine Spezialität Jungwirths. Oft gelingt ihr diese Hervorhebung durch die überraschende Kombination verschiedener Bezüge – „ Indesit“ etwa schlägt die Brücke vom Haushaltsgerät zur Architektur New Yorks.
Die „Windsbraut“ ist eine Anspielung auf das gleichnamige Kokoschka-Gemälde mit Alma Mahler – allerdings mit Alfred Schmeller als Modell. Ausgedehnte Reisen, die sie „Malfluchten“ nennt, bringen frische Eindrücke.Die Kunstgeschichte oder die griechische Mythologie dienen Jungwirth ebenso als Vorlagen wie Wiener Stadtlandschaften. Die Welt steht nicht still, und auch die Malerin tut es nicht: „g’schwind schauen und g’schwind malen“ ist ihr Motto.
Der Rückblick auf Jungwirths Werk zeugt überall von Bewegung und Veränderung. Auch nach der großen Retrospektive steht kein Innehalten am Programm: Die letzte Serie „Fundraising“ ist noch nicht abgeschlossen.
Programm: Neue Ausstellungen und Filme
Die Retrospektive von Martha Jungwirth ist bis 2. 11. zu sehen.
Ebenfalls bis 2.11. zeigt die Kunsthalle krems Gregor Schmolls Ausstellung „Orbis Pictus“. Schmoll wirft Fragen zu Realität und Imagination, Originalität und Identität auf. Auf humorvolle Weise spielen die Fotografien und Installationen mit Künstlerbildern, Weltbildern und anderen Möglichkeiten der Kunst, Wirklichkeiten zu schaffen.
Zu Gregor Schmolls Ironisierung des Surrealismus reicht die Kunsthalle auch Surrealismus in Reinkultur. Das gemeinsame Werk „Ein andalusischer Hund“ von Luis Buñuel und Salvador Dalí (1929) gilt als Ikone des surrealistischen Avantgardefilms und ist eine viertelstündige Tour de Force durch absurde Traumwelten und frei assoziierte Ausgeburten des Unbewussten (Bis 2. 11.)
Die Factory neben dem Karikaturmuseum zeigt die hyperrealistischen „Porträts“ von Alltagsgegenständen des Berliner Malers René Wirths. Der nicht-fotografische Realismus der Bilder erleitet dazu, über Dinge zu staunen, die man sonst keines Blickes würdigt. Wer hätte gedacht, dass eine Klopapierrolle so schön ist? (Bis 9. 11.)
Im Forum Frohner widmet sich dazu die Schau "Aktionistinnen" dem weiblichen Kontingent im Wiener Aktionismus – mit Videos, Fotos und Artefakten von Aktionen. Bis 24. 8.
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