Frankenstein vs. Adam

Frankenstein vs. Adam
Jubiläum: Das Monster ist nicht umzubringen. Obwohl es heuer schon 200 Jahre alt wurde.

ES hatte keine Chance, ein lieber ... Mensch zu sein. Das sollte man nie vergessen. ES war hässlich, weil man sich ihm gegenüber  so hässlich benahm.
Sein Vater, der ehrgeizige Naturwissenschaftler Dr. Viktor Frankenstein (übrigens Schweizer), hat seinen ... seinen Sohn nicht an der Hand genommen und hinaus in die weite Welt geführt.
Gut, dann hätte die  feine Gesellschaft  etwas geschockt reagiert.
Doch hätte sich bestimmt bald ein Smalltalk ergeben, z. B. zum Thema, ob die Hand, die jetzt eben ein Brötchen in den Mund stopft, vom Friedhof stammt, aus dem Leichenschauhaus oder eh nur vom Schlachthof.
Frankenstein or The Modern Prometheus“ ist eine traurige Geschichte, geschrieben von der 19-jährigen Mary Shelley, der selbst eine traurige Geschichte bevorstand:
Ihr Mann Percy Shelley ertrank 29-jährig bei einer Segeltour im Meer bei Viareggio; und vier ihrer fünf Kinder starben.
Percy Shelleys  Herz wurde drei Jahrzehnte später nach Marys Tod (1851) in einer ihrer Schreibtischladen gefunden.

Wie die Frösche

200 Jahre ist der Roman alt: 1818 erschien die erste (dreibändige, teure) Ausgabe. Ein einziger Kritiker gab dem Buch damals eine Chance.
Die Auflage, 500 Stück, war keineswegs rasch ausverkauft: „Frankenstein“ wurde erst ab 1880 zum Bestseller, als das Theater das Monster entdeckte – und ES zum brutalen Mörder sowie seinen „Vater“ zum verrückten Professor degradierte.
Aber der echte, der alte „Frankenstein“ ist nicht allein deshalb geschrieben worden, um an einem finsteren, gewittrigen Abend am Genfer See Freunde mit einer Schauergeschichte zu unterhalten.
Er hatte seinen Ausgangspunkt in wissenschaftlichen Diskussionen, ob man Tote, vielleicht mittels Elektrizität, wiederbeleben könnte.
Eine Froschleiche zuckt ja auch, wenn man sie unter Strom setzt ...

Keine Götter

Der britische Historiker Sir Christopher Frayling ist Spezialist für Populärkultur.
Mit den Western Sergio Leones hat er sich beschäftigt, mit Vampiren und mit Winnetou.
Wenn sich der heute 71-Jährige um den „Schöpfungsmythos“ Frankenstein kümmert, so hält er ihn für wichtiger als die Geschichte von Adam und Eva.
Mittlerweile sei er  wichtiger: in modernen Zeiten von Gentechnik, Robotern, künstlicher Intelligenz und Babys, die gleich drei Elternteile haben.
Frankensteins Kreatur  lebt heute noch in voller Größe (= 2,40 Meter).
Abgesehen von den noch immer wissenschaftlich diskutierten Interpretationen – wollte Mary Shelley  sagen, wir sollen nicht Gott spielen? Oder dass Unterschiede nicht zu vermeiden, sondern zu feiern sind? Oder hatte sie Angst vor befreiten Sklaven? Denn erst kurz bevor sie den Roman schrieb, war der Sklavenhandel im Empire verboten worden ....
... abgesehen davon, existiert ES in Krimis (Dean Koontz) weiter, in Comics (sogar bei Mickey Mouse), in Trickfilmen (Simpsons), auf Briefmarken, in Parodien (bei Loriot bzw. „The Munsters“), als Spielzeug.

Fragezeichen

Fraylins kürzlich als Buch erschienene Studie über die ersten 200 Jahre geht in ein Bilderbuch mit vielen Filmplakaten über. Höhepunkt ist Boris Karloff (1969).
Insgesamt gibt es bisher 33 Frankenstein-Filme.
Aber nur drei mit Karloff, den ersten Film 1931. Im Abspann stand nicht einmal sein Name, sondern als Werbegag ein Fragezeichen.  Dass Boris Karloff zur Filmpremiere nicht eingeladen wurde, dürfte ihm egal gewesen sein: Die Rolle war nicht gerade eine Sprechrolle, und der Brite  war Theaterschauspieler. Begeistert war er also nicht  vom Film – und wurde schweigend weltberühmt.
Jack Pierce, der  in Vergessenheit geratene Horror-Maskenbildner Hollywoods (oben im Bild bei der Arbeit), arbeitete an jedem Drehtag vier bis sechs Stunden an Boris Karloffs Narbe, Perücke und an der grünlichen Gesichtsfarbe – die in Schwarzweiß tödlich grau aussahen.
Boris Karloff litt. Manchmal schlief er mit Make-up, den Kopf zwischen Büchern eingeklemmt. um sich nicht aufs Gesicht legen zu können.
Das Gärtnern war ihm jedenfalls lieber. Es war sein Hobby, und das Monster von Frankenstein hätte  so etwas bestimmt ebenfalls  sehr genossen.
Unter Trauerweide

 

Sir Christopher Frayling:
Frankenstein.
Die ersten
200 Jahre“
Reel Art Press.
208 Seiten mit
200 Bildern.
41,10 Euro.

KURIER-Wertung: ****

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