Filmregisseur Christian Petzold: „Ich hatte Mist gebaut“

Barbara Auer und Paula Beer auf einem Fahrrad.
Der deutsche Filmemacher und frisch gekürte Präsident der Viennale Christian Petzold über sein unterkühltes Drama „Miroirs No. 3“, ein verpfuschtes Filmende und seine November-Depression.

Niemand kann seine eigenen Filme so gut erklären wie Christian Petzold. Während sich manche Regisseure zieren, zu ihren eigenen Werken Deutungen mitzuliefern, ist der deutsche Filmemacher das genaue Gegenteil: Großzügig öffnet er eine Schatzkammer an Einfällen, Querverweisen, literarischen Quellen, Filmzitaten und persönlichen Anekdoten, die seine Arbeiten befeuerten.

Ein Gespräch über seinen neuen Film „Miroirs No. 3“ (derzeit im Kino) führt über Heinrich von Kleist zu Tom Sawyer zu Fußball zu einer Party in Berlin und in die Uckermark: „Jetzt quatsch’ ich aber ein Zeug zusammen“, grinst Petzold zwischendurch im KURIER-Gespräch, ehe er zu einer neuen, spannenden Assoziationskette ausholt.

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Filmemacher und Viennale-Präsident Christian Petzold . 

Die Geschichte zu „Miroirs No. 3“ beispielsweise hat er geschrieben, nachdem er den Schauspielern während des Drehs zu seinem vorherigen Film „Roter Himmel“ eine kleine Vorlesung über eine Textstelle von Kleist („Ich war ein bisschen in Angeberstimmung“) gehalten hat. Kleist inspirierte ihn dazu, von einer Gruppe von Menschen zu erzählen, die am Zusammenbrechen ist, sich aber im Unglück gegenseitig auffängt.

Auf hoher See

Der Filmtitel „Miroirs No. 3“ wiederum bezieht sich auf ein Musikstück von Maurice Ravel. Dessen Untertitel „Eine Barke auf hoher See“ beflügelte Petzold zu einem weiteren Sinnbild: „Ich habe zu den Schauspielern gesagt: ,Das ist ein Film über Menschen, die versuchen, sich nach einem Unglück auf hoher See ein Rettungsfloß zu bauen.’ Manchmal reicht es, den Schauspielern nur einen Satz zu sagen. Da braucht es keine Hintergrundgeschichte.“

In „Miroirs No. 3“ spielt Paula Beer die Klavierstudentin Laura, die einen Autounfall überlebt, bei dem ihr Freund gestorben ist. Schwer angeschlagen, findet sie Unterschlupf bei einer älteren Frau namens Betty (Barbara Auer), in deren Haus und Familie sie die Rolle der Ersatztochter annimmt. Auch Betty ist stark traumatisiert und leidet unter dem Tod ihrer Tochter. Laura spürt, dass etwas mit ihr nicht stimmt, fragt aber nicht nach: „Wenn man jemanden auf einer Party in Berlin kennenlernt, wird man immer zuerst gefragt, was man so macht und welchen Beruf man hat. Man wird immer identifiziert: Im Leben ist immer eine Passkontrolle da“, kommentiert der Regisseur. „Das größte Glück aber ist, wenn man jemanden trifft, der diese Frage nicht stellt. Der dich einfach nimmt, wie du bist. Nur in der Gegenwart.“ Die fragile Gegenwart der beiden Frauen sieht so aus, dass sie einander keine bohrenden Fragen stellen. Stattdessen streichen sie einen Zaun weiß an, wie in einer Geschichte von „Die Abenteuer des Tom Sawyer“, die Petzold von frühester Kindheit an liebte und sich von seiner Mutter vorlesen ließ: „Da konnte ich die Augen schließen und abhauen.“

Wie ein Märchen

Der weiße Zaun steht vor einem einsamen Haus inmitten der Uckermark – das ist der „schönere Teil von Brandenburg, wo ganz viele Regisseure ihre Häuser haben, wie Wim Wenders zum Beispiel“. Dorthin kommt Laura nach ihrem Unfall: In eine Welt, die „wie ein Märchen ist“. Alles andere jedoch – die Berührungen, die Blicke, der Wind – müssen absolut echt sein, sodass „das Authentische und das Verzauberte im selben Raum sind“, sagt der Regisseur, seit heuer übrigens auch der Präsident der Viennale: „So mag ich das Kino.“

Nicht nur das Märchenhafte, auch der Tod kündigt sich gleich zu Beginn in „Miroirs No. 3“ an, wenn Laura am Ufer eines Flusses steht, auf dem ein Stand-up-Paddler ganz in Schwarz vorbei zieht. Er habe Arnold Böcklins Bild „Die Toteninsel“ im Kopf gehabt, erzählt Petzold, der für alles eine Erklärung hat, und führt fröhlich aus: „Ich wuchs zwischen zwei Flüssen, dem Rhein und der Wupper, auf. Der Rhein führt in die Weite. Wer am Rhein steht, sehnt sich nach der Welt. Jenseits der Wupper aber ist das Reich des Todes. In Deutschland ist ,über die Wupper gehen’ ein Ausdruck fürs Sterben. Die Wupper ist der Styx Deutschlands.“

Sinnloses Geschwätz

Auf schlanke 86 Minuten hat Petzold seinen Film zusammengeschnitten, denn „wir sind von so vielem sinnlosen Geschwätz in Filmen umgeben, dass ich finde, man muss sich konzentrieren“.

Nicht immer war alles glatt verlaufen, zumal sich das ursprünglich geplante Happyend am Schluss falsch anfühlte und nochmals gedreht werden musste: „Ich hatte Mist gebaut“, gibt Petzold zu, „und verfiel in eine brutale November-Depression.“ Am Ende ging es aber gut aus, denn ein passendes Schlussbild wurde gefunden.

„Kann man Seelen reparieren wie einen Gegenstand?“, fragt sich der Filmemacher und liefert gleich die Antwort hinterher: „Ich glaube, ja.“ In seiner aktiven Zeit als Fußballer – bis heute ist er begeisterter Anhänger von Borussia Mönchengladbach – hatte er sich schwer verletzt und musste operiert werden. Auf die Frage, ob es wieder so werden würde wie früher, antwortete der Arzt: „Nicht wie früher, aber es wird gut.“

Und so stelle er sich auch seelische Reparaturen vor, sagt Christian Petzold zuversichtlich: „Es wird nicht mehr so wie früher, aber es wird wieder gut, vielleicht.“

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