Filmkritik zu "Ja": Ein israelischer Musiker soll Rache-Hymne vertonen

Zwei Männer, von denen einer eine Gans hält.
Der israelische Regisseur Nadav Lapid provoziert mit seiner kontroversiellen Satire "Ja" über einen Musiker im Gewissenskonflikt.

Von Gabriele Flossmann

Die Kamera schwenkt – scheinbar ratlos – hin und her. Verschwommene, verstörende Bilder. Wüste, Militäruniformen. Dazu eine übersteuerte Lärmkulisse als Zerreißprobe für das Trommelfell. Die provokante Bildsprache ist von inszenierten Einstellungen geprägt. Mit Ausnahme der höchst fragwürdigen Sequenz, die reale Bilder der Bombardierung Gazas in die Fiktion einfügt.

Auf der fiktionalen Ebene wird die Geschichte eines Künstlerpaares erzählt, dessen Beziehung nach den Ereignissen vom 7. Oktober 2023 auf die Probe gestellt wird. Er ist Musiker und Komponist und mit Yasmin, einer Tänzerin, verheiratet.

Im gesamten Film wird er „Y“ genannt – nach dem Anfangsbuchstaben seines Vornamens. Wie Kafkas Romanheld „K“. „Y“(ehuda) ist der israelische Jedermann, der Künstler, der Sucher, der Faustus, der die Nähe der Reichen und Einflussreichen sucht. Und zugleich, gerade weil er im Prinzip der Anlage von Klaus Manns Gustav-Gründgens-Schlüsselroman „Mephisto“ folgt, der Geschichte des genialischen Künstlers, der nicht anders(?) kann, als sich den Nazis anzudienen, erschreckend einfach zu erfassen.

Partylaune

Y könnte also auch „H“ heißen – wie Klaus Manns Roman-„Held“ Hendrik Höfgen. Nach einer Stunde orgiastischer Partylaune mit Musik, Alkohol, Drogen und vielen reichen und offensichtlich mächtigen Israeli passiert es: Y bekommt eine SMS-Meldung seines Managers. Er soll für eine Gedenkfeier anlässlich des Massakers vom 7. Oktober 2023 die Musik liefern.

Und nicht nur das. Er soll auch die dazu passende Rache-Wut-und-Einigkeits-Hymne vertonen.

Mit diesem Auftrag wird Y zum Opportunisten und Ja-Sager. Damit scheint die goldene Zukunft wieder zum Greifen nah, das Leben im Luxus gesichert. Inmitten von Menschen, die der Welt und einander zeigen wollen, dass sie sich vom Terrorismus, der die Auflösung des Staates Israel zum Ziel erkoren hat, nicht einschüchtern lassen. Aber wie soll sich der Einzelne inmitten politischer und gesellschaftlicher Spannungen positionieren?

Anti-Gaza-Lied

Y komponiert ein Anti-Gaza-Lied – finanziert von einem wohlhabenden Russen, der als widerlicher russischer Fintech-Manager dargestellt ist. Die implizierte Gleichsetzung zwischen Putin und Israel wird ohne Subtilität präsentiert, wobei Subtilität in der aggressiven Machart von Nadav Lapids Film ohnehin irrelevant ist.

Efrat Dor und Ariel Bronz als Künstlerpaar.

Kompromittiertes Künstlerpaar: Efrat Dor und Ariel Bronz in "Ja":

Getrieben von der Verarbeitung des Traumas vom 7. Oktober und dem Tod seiner Mutter verlässt Y seine Familie und macht sich auf den Weg zu seiner früheren Geliebten Leah. Als Übersetzerin hat sie Zugang zu vertraulichen Dokumenten, die authentische(?) Details über das Attentat vom 7. Oktober liefern können. Details, in denen Y eine Rechtfertigung sieht – oder sehen will – für seine neue Nationalhymne, die Israel hochleben lässt, während der Krieg in Gaza tobt.

Inspiriert von der Aktivistengruppe „Civic Front“, die nach dem 7. Oktober eine neue Version eines klassisch-israelischen Songs veröffentlichte – mit einem verstörenden neuen Text, der zur Massenvernichtung in Gaza aufrief. Eine fiktionalisierte Version dieses Liedes ist in diesem Film zu hören, deren Text – wie im Original – zum Angriff auf Träger des Hakenkreuzes aufruft.

Bis zu diesem Moment ist nicht wirklich klar, was uns Nadav Lapid mit seinem ausufernden Film sagen will. Mit seinem Soundtrack, der sich als Mix aus Kriegslärm und Musik von Bach über Thelonious Monk bis zu Elvis generiert. Ganz bewusst lässt Lapid seinen Film mit den moralischen Bedenken des Publikums kollidieren.

Rundumschlag

Seine scharfe, konfrontative Satire wird mit ihrer übertrieben sexualisierten Choreografie immer wieder zur schmerzhaften Karikatur und zu einem gesellschaftspolitischen Rundumschlag.

Israels herrschende Klasse wird als dekadent gezeichnet und gleichgültig gegenüber dem Gemetzel und Leid in Gaza. Auf der Kehrseite dieser filmischen Medaille sieht man die einfühlsame Studie über ein Volk, das von dem antisemitischen Massaker vom 7. Oktober traumatisiert ist. In einer Szene, die die vierte Wand durchbricht, zählt ein Mann die angeblich antiisraelischen Akteure auf: die BBC, CNN, die New York Times – und wendet sich dann wütend und direkt an das Publikum im Kinosaal: „… und auch Sie sind antiisraelisch!“ Und in einer anderen Szene fällt der Satz: „Du bist am Boden zerstört vom Leben in Gaza, aber du weißt nicht, was es heißt, Israeli zu sein.“

Ariel Bronz mit Gans auf der Schulter.

Ariel Bronz in "Ja" von Nadav Lapid.

Bei den Filmfestspielen von Cannes wurde der Film als Inbegriff des Widerstands gegen die israelische Politik und als kathartische Darstellung der Wirren und Traumata der israelischen Gesellschaft nach dem 7. Oktober gefeiert, aber auch wegen seinem oft poppigen, manchmal kitschigen, ja sogar vulgären ästhetischen Stil als Geschmacksverirrung mit anti-israelischer und antisemitischer Gesinnung verurteilt. Dabei fielen Worte Worten wie: krampfhaft, fieberhaft, eindringlich, erschöpfend, mutig, hyperaktiv, frenetisch, intellektuell, sentimental, dekadent, krank, albtraumhaft, intellektuell, explosiv, verstörend, provokativ …

Diese Paradoxa durchziehen auch den Film. Ähnlich paradox verlief auch der bisherige Lebenslauf des israelischen Drehbuchautors und Regisseurs Nadav Lapid. Als junger Mann träumte er von Missionen und Kampfeinsätzen am Golan. Sein schlechter Gesundheitszustand durchkreuzte diese Pläne. Weil er trotzdem etwas „für Israel tun“ wollte, trat Lapid dem Geheimdienst bei. Und quasi als Ausgleich zum Wehrdienst in der israelischen Armee begann er ein Studium der Geschichte und Philosophie, das ihn auch nach Paris führte. So viel zum Thema Erzählkunst, wie man sie in diesem Film ausufernd studieren kann.

INFO: FR/IL/DE/CY 2025. 149 Min. Von Nadav Lapid. Mit  Ariel Bronz, Efrat Dor, Naama Preis.

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