Film "A Boy's Life": Die Erinnerungen des "Vorzeigepatients“ von Josef Mengele
Damit Erinnerung auch in Zukunft lebendig bleibt, braucht es Menschen, die Geschichte weitererzählen. Doch was, wenn Zeitzeugen nicht mehr da sind, um von den Gräueltaten der Nazis zu berichten, davor zu warnen?
Die beiden österreichischen Filmemacher Christian Krönes und Florian Weigensamer haben es sich zur Aufgabe gemacht, gegen das Vergessen, gegen das Nichterinnern und vor allem gegen das „Nichterinnernwollen“ anzukämpfen. Gemeinsam sind sie für eine Reihe von hochkarätigen Dokumentarfilmen verantwortlich, die bereits mit vielen Preisen ausgezeichnet wurden. Wie etwa „Marko Feingold – Ein jüdisches Leben“ (2020).
Der neueste Film der beiden, „A Boy’s Life“, bietet einem weiteren Zeitzeugen ein Podium: Daniel Chanoch. Als Achtjähriger wurde Chanoch nach Auschwitz deportiert. Dort traf er auf den KZ-Arzt Josef Mengele, der ihn dem Roten Kreuz als „Vorzeigepatient“ präsentierte. Er überlebte sechs Konzentrationslager, darunter das als besonders grausam empfundene KZ Gunskirchen in Österreich, eines der 49 Nebenlager von Mauthausen. Über seine Begegnung mit Mengele erzählt er im Film: „Hätte ich im Lager vor Josef Mengele Gefühle gezeigt, würde ich wohl nicht überlebt haben.“
KURIER: Man sagt, dass man aus der Geschichte lernen kann. Können Sie nach Ihren filmisch aufgezeichneten Gesprächen mit Zeitzeugen noch daran glauben?
Christian Krönes: Völkermorde haben weiter stattgefunden. Der Hass hat zugenommen. Rhetorik gegen Einwanderer ist da, Islamophobie, Antisemitismus. Tun wir also nicht so, als hätten die Geschichten der Überlebenden die Kraft, den Hass zu stoppen.
Florian Weigensamer: Es liegt auch außerdem nicht in der Verantwortung von Holocaust-Überlebenden, die Ausgrenzung und den damit verbundenen Hass zu überwinden. Die zweite Generation, die dritte Generation – und nicht nur diejenigen, die von Überlebenden abstammen – jeder hat die Verantwortung, diese Erinnerung zu nutzen, der Geschichte gegenüber verantwortlich zu handeln und für das einzustehen.
Wäre diese Übernahme der Verantwortung für unsere Geschichte und die unserer Eltern und Großeltern auch ein Mittel gegen den Rechtsruck, der nahezu überall auf der Welt zu beobachten ist?
Krönes: Dazu der Krieg Russlands gegen die Ukraine.
Dies alles sind Entwicklungen, bei denen wir uns fragen müssen: Haben wir wirklich nichts aus der Geschichte gelernt? Wie sonst konnte es passieren, dass Antisemitismus, Rassismus und Intoleranz allem sogenannten Fremden gegenüber wieder so stark aufkeimen konnten? Erinnert sich niemand mehr an die Wurzeln des Holocaust? Wie könnte es sonst passieren, dass Impfgegner und andere selbst ernannte Opfer der Gesellschaft sich mit einem gelben Stern als angeblich Verfolgte kennzeichnen? Wir wollen mit unseren Filmen den Zuschauern vermitteln, dass Demokratie ein sehr fragiles Geschöpf ist, das man – und das ist wichtig: rechtzeitig – verteidigen muss.
Daniel Chanoch zeigt auch einen Hang zu schwarzem Humor. Auf die Frage nach dem Überleben des KZ und seinem langen Leben danach sagt er, er hätte einen „guten Arzt“ gehabt – Josef Mengele. Wie darf man diese Antwort verstehen?
Krönes: Mit Selbstironie und schwarzem Humor konnte er offenbar seine Horror-Erlebnisse mental in den Griff bekommen. Ein Mechanismus, auf dem ja auch der jüdische Humor basiert. Ohne die Weisheit dieses Humors, mit dem Daniel seine Geschichte und Geschichten würzt, würde das Publikum wahrscheinlich nach kurzer Zeit unseren Film nicht mehr ertragen können.
Weigensamer: Daniel setzt immer wieder zynische Pointen in seinen Erzählungen, die das Gehörte erträglicher machen. Mit einem Lächeln im Gesicht über Mengele zu erzählen, sagt ja auch viel über ihn als Person. Man merkt, dass er sein Publikum auch unterhalten will, damit sie bereit sind, die unglaubliche Geschichte seines Lebens bis zum Ende anzuhören. Man merkt beim Zuhören, dass Daniel Chanoch die KZ-Erlebnisse nie wieder loslassen werden, aber man merkt auch, dass er keine Bitterkeit in sich trägt. Der Humor und die grundsätzliche Menschenfreundlichkeit, die aus ihm sprechen, machen es auch möglich, dass sich das Publikum gerne mit ihm identifizieren kann und will. Und das ist bei so einem Film besonders wichtig, denn er sollte ja von möglichst vielen Menschen gesehen werden.
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