"Far Side"-Karikaturist Gary Larson ist wieder da: Dagegen ist 2020 normal
„Ziehen“, steht an der Tür ausgerechnet zur Begabtenschule.
Was tut da der begabte Schüler?
Er drückt, natürlich.
Vergeblich.
Denn in Gary Larsons Welt – der „Far Side“ – ist auch das klügste Kind nicht das hellste. Was nichts macht, weil soundso die ganze menschliche Zivilisation nur eine in die Irre gelaufene Aneinanderreihung von Selbsttäuschungen ist.
Selbsttäuschungen darüber, was normal ist.
Humor lehrt hier: Es ist nichts normal an dem, wie wir leben, an den Maßstäben, hinter denen wir uns verschanzt haben, und am allgemeinen Selbstbild.
Larson hat das wie kein anderer zu Papier gebracht.
Ja, Papier: Er war einer der erfolgreichsten Zeitungskarikaturisten Amerikas der 1980er. Er hat, wie der New Yorker jüngst schrieb, die Reagan-Ära erträglicher gemacht.
Mit einem Schmäh, der einfach ist und doch viel bewegt: Er kratzt in seinen Ein-Bild-Comics mit der Zeichenfeder an der dünnen Schicht Gesellschaft, die uns umgibt, er verschiebt die Fassade des Normalen ein bisserl, gerade nur genug, um das Dahinter sichtbar zu machen. Dort, auf der „Far Side“ des Normalen, lässt er dann tierisches Personal – Kühe, Insekten, Hunde – in jene Rollen schlüpfen, die wir einnehmen. Und Neandertaler, Außerirdische, Vorstadtspießer auftreten, die auch nur Menschen sind.
Absurd!
Beim Durchblättern der zahlreichen erhältlichen Sammelbände entwickelt sich dann – ausprobieren! – das Gary-Larson-Gefühl: Es ist doch alles in Wirklichkeit nur absurd hier. „Ich bin nicht zufrieden“, sagt da etwa die Luxus-Kuh, auf zwei Beinen im Luxus-Apartment stehend, mit Ketten behängt und Champagnerglas in der Hand.
Man will lachen, aber muss dieses Lachen gleich auf sich selbst umleiten. Sind wir weniger komisch?
Roy wiederum verurteilt die Menschheit zum Untergang, weil er die handförmigen Außerirdischen mit wildem Schütteln begrüßt.
Genau so ungeschickt, menschlich verengt wird sie sein, die Erstbegegnung.
Es ist natürlich ein undankbarer Versuch, zeichnerischen Witz zu beschreiben (aktuelle Beispiele gibt es täglich hier). Der Witz des Gary Larson aber ist erstaunlich gut gealtert, ja eigentlich zeitgemäß wie lange nicht mehr.
Denn die Normalität ist der politische Kampfbegriff der Stunde und wird gegen jedwede Veränderung oder Abweichung – Ausländer! – in die Schlacht geworfen.
Larson zeigt, elegant und schräg zugleich, auf welch gläsernen Füßen dieser Normalitätsbegriff steht, ja immer schon gestanden ist.
Normal radikal
Wie absurd der Alltag ist, wenn man ihn nur ein bisschen schief anschaut.
Seine Comicskunst ist ein wunderbares Gegenmittel zur Radikalisierung der angeblich Normalen. Und wenn schon die alte Normalität absurd war, was soll dann eine neue bringen?
Seine Comics sind aber auch befreiende Augenöffner – und haben nicht zuletzt auch die Nerds, die Wissenschaftler und Geistesmenschen besonders erreicht. Denn anstatt im verbalen Schützengraben das Banale bis aufs Blut zu verteidigen, hinterfragen sie ebendieses.
Die gute Nachricht: Gerade jetzt, wo eh nichts normal ist, kehrt Gary Larson zurück. Mitte der 90er hatte er die „Far Side“ aufgegeben, für ein Leben mit Jazzgitarre und ohne Deadlines. Nun aber zeichnet Larson wieder.
Auf thefarside.com gibt es eine Abteilung für neue Zeichnungen.
Es tut sich noch nicht viel.
Die paar neuen Comics sind bunter, sehr eindeutig mit Larsons Handschrift versehen. Bären essen Pfadfinderkinder. Außerirdische machen sich bereit, einen Menschen mit einer Sonde zu traktieren.
So weit, so (erste) Fingerübung.
Aber die wenigen Zeichnungen – und Larsons Ankündigung, dass er neue macht, wenn es ihm Spaß bereitet – sind zumindest ein Versprechen darauf, dass 2020 nicht ganz sinnlos gewesen sein wird.
Kommentare