Fall Gurlitt: Kaum Antworten, immer mehr Fragen
Für jenen Sammlersohn, in dessen Münchner Wohnung zahlreiche Werke aus der Sammlung seines als NS-Kunsthändler tätigen Vaters gefunden wurden, gilt natürlich die Unschuldsvermutung. Das Problem ist: Man ist sich immer noch nicht so recht einig, was für eine Schuld überhaupt vermutet werden könnte.
Denn der Aufsehen erregende Fund hat zwar in Deutschland eine aufgeregte Diskussion über fehlende Raubkunstgesetze, außer Kraft gesetzte Verjährungsfristen und „böswilligen“ Vermögenserwerb ausgelöst. Doch eineinhalb Jahre nach der Beschlagnahme und einen Monat nach Bekanntwerden herrscht um die Zukunft der Kunstwerke aus der Wohnung Cornelius Gurlitts nach wie vor Rätselraten.
Nur weniges hat sich inzwischen geklärt, und jede Erkenntnis wirft neue Fragen auf. Nach aktueller Zählung, die Werkgruppen zusammenfasst, sind es nicht 1406, sondern 1280 Werke, die - nach Schätzung eines Auktionshauses - rund 30 Millionen Euro Wert sein sollen.
310 der Werke gelten als Gurlitts rechtmäßiger Besitz und sollen ihm zurückgegeben werden. Doch der 80-jährige Kunstsammlersohn ist laut Angaben der Augsburger Staatsanwaltschaft nicht bereit, einen Übergabetermin zu vereinbaren: Er sei seit Monaten für die Behörden nicht erreichbar, man habe es mindestens zehn Mal versucht. Gurlitt selbst aber hatte gegenüber dem Spiegel moniert, dass die Behörden sich nicht bei ihm melden.
384 weitere Werke dürften aus der NS-Aktion „Entartete Kunst“ stammen, bei der die Nationalsozialisten moderne Werke aus den deutschen Museen entfernten. Wie vieles in der NS-Zeit war dies vorgeblich durch ein Gesetz gedeckt. Inmitten des internationalen Aufsehens denkt man nun laut darüber nach, ob dies rückgängig gemacht werden soll. Aber auch viele internationale Museen wie das Museum of Modern Art in New York haben von dieser Aktion betroffene Werke erworben. Würden alle diese Transaktionen rückgängig gemacht werden, warnen Experten vor „weitreichenden Folgen“: Museen, die Werke aus der Sammlung Gurlitt zurückfordern, könnten ihrerseits Werke zurückgeben müssen, hieß es dazu in der New York Times.
Vorbild Österreich
590 weitere Werke aus der Sammlung sollen auf Raubkunstverdacht überprüft werden. 219 davon stehen auf der Webseite www.lostart.de – durch die Veröffentlichung soll es etwaigen Erben ermöglicht werden, Besitzansprüche geltend zu machen. Auch wenn keineswegs klar ist, nach welchem Rechtstitel die Werke zurückgegeben werden können. So waren die bundesdeutsche Justizministerin und ihr bayerisches Pendant öffentlich geteilter Meinung darüber, ob es anlässlich des Falles Gurlitt zu einer aktuellen Gesetzesänderung kommen oder ob die Verjährung aufgehoben werden soll bzw. kann. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass Gurlitt die Werke gar nicht besitzt.
Zuletzt wurde in Deutschland ein Restitutionsgesetz nach österreichischem Vorbild gefordert. Aber auch das zeigt, wie verfahren die Diskussion ist: Denn das österreichische Restitutionsgesetz gilt nicht für Privatsammlungen wie jene Gurlitts. Es würde also den Umgang mit der aufgefundenen Sammlung nicht erleichtern.
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