Erich Hackl: Ein Denkmal für die Zivilcourage

Erich Hackl: Ein Denkmal für die Zivilcourage
"Am Seil" dokumentiert die Rettung einer jüdischen Chemikerin und ihrer Tochter, Wien 1941 bis 1945

Wie schnell jüdische Kinder aus den Schulen geworfen wurden. Wie schnell  jemand in den Parks mit Schablonen auf die Bänke malte: NUR FÜR ARIER.
Wie schnell die Gestapo die Ersten abgeholt  und im Praterstadion gefangen gehalten hat. Wie schnell der Zug nach Buchenwald abfuhr. Wie schnell die Todesnachricht kam..
Wie schnell Reinhold Duschka geholfen hat.
Ihm hat Erich Hackl („ Abschied von Sidonie“) ein Denkmal gebaut  –  „Am Seil“.

Gerechter

Ein Buch, reduziert aufs Wesentliche, damit nichts geschmückt aussieht.
Damit nur ja nicht der Autor in den Vordergrund rückt: Erich Hackl hat im KURIER-Interview seine  Ablehnung gegen die „Ich-Ich-Ich-Literatur“ geäußert („ ... so wie ich auch sonst Menschen immer weniger ertrage, die nur sich selbst gelten lassen“).
Reinhard Duschka (1900 – 1993) wollte nie Lob. Er schwieg sogar nach dem Krieg gegenüber der eigenen Familie über  „Heldentaten“.  Wieso Yad Vashem? Wieso die Ehrung als Gerechter unter den Völkern?
Er habe bloß  Verantwortung übernommen und geschwiegen.  So sind Bergsteiger. Duschka war Bergsteiger.
Da hält man das Seil fest, bis alle in Sicherheit sind. Er hatte ja auch nicht losgelassen, als ein Kamerad mit dem Steigeisen irrtümlich auf seinem Kopf stand.

Er kam aus Berlin. An der Wiener Kunstgewerbeschule studierte Duschka in Josef Hoffmanns Klasse Metallarbeiten. Im „Werkstättenhof“ hämmerte und walzte er  aus Blech Vasen, Leuchter, Schmuck.
Dieses Riesengebäude Linke Wienzeile 178 sieht man jetzt  mit anderen Augen.
Es gehört zum Denkmal.
Seine  Freundesrunde  – Akademiker, pazifistisch, kommunistisch – zerstreute sich, als Hitler kam. Nur die jüdische Chemikerin Regina Steinig und ihre zehnjährige Tochter Lucia blieben irgendwie übrig.
Der Lkw stand vor ihrem Haus, die Deportation stand bevor. Duschek führte Mutter und Tochter  in seine Werkstatt. In den Verschlag, den er baute, brachte er Matratzen und Bücher. Nachts waren Regina und Lucia allein. Am Wochenende auch. Da ging Duschka klettern.
1941 bis 1945. Der Arzt Dr. Rudolf Mader schrieb Atteste, um Duschkas Einberufung zu verhindern. Sonst wäre das Seil gerissen.

Käse

Bombentreffer machten zuletzt ein neues Versteck notwendig, zuerst im Hütteldorfer Schrebergarten des damals 45-Jährigen, dann in einem Geschäftslokal in Gumpendorf; und obwohl er nun nichts verdiente – kein Werkzeug, kein Material –, trieb er Essen auf.
Lucia (Heilmann) erinnert sich an den großen  Laib  Käse, den er  zu ihr rollte.
Stopp. Alles will man hier erzählen. Aber gelesen gehört HACKL. Er macht Mut. Das ist wichtig, man wird Zivilcourage  brauchen.
Was der gebürtige Oberösterreicher an Informationen sammelte, gibt Duschka auch weniger sympathsiche Züge. Schön ist das: So begreift man, dass er echt ist.
Er heiratete nach dem Krieg und schenkte seiner Tochter zu den Geburtstagen immer nur eine Tafel Schokolade. Im Märchen sind Helden großzügiger.

 

Erich Hackl:
„Am Seil“
Diogenes Verlag.
128 Seiten.
20,60 Euro.

KURIER-Wertung: **** und ein halber Stern

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