Eine Geschichtsstunde mit 120 Schlägen in der Minute

 
Am Sonntag zeigten die Einstürzenden Neubauten in München eine besondere Performance.

1567 Tage dauerte der Erste Weltkrieg, 1567 Mal schlagen N. U. Unruh, Rudolf Moser und Alexander Hacke auf graue Plastikrohre ein. Jeder Tag ein Schlag. 120 Schläge in der Minute. Eine Stimme vom Band zählt die Kriegsschauplätze auf, Blixa Bargeld die beteiligten Länder in der Reihenfolge ihres Kriegseintritts. Verstörend, bedrückend und überwältigend. Es ist der Song „Der 1. Weltkrieg (Percussion Version)“ vom gerade erschienen Konzeptalbum „Lament“ der Einstürzenden Neubauten.

Ein Album, das den Ersten Weltkrieg in ein tonales Korsett zwängt und dem Leiden musikalischen Ausdruck verleiht. Auf dem Album – wie auch am Sonntag auf der Bühne der Münchner Muffathalle – lassen sie der „Kriegsmaschinerie“ freien Lauf. Schlagen, schleifen und kratzen sie allerlei Metall in Form von Platten, Federn und Ketten. Liefern eine brachiale, lärmende Klangwalze, die über die Besucher rollt, wie ein Panzer über einen Schützengraben. Bargelds unverkennbares Kreischen schmerzt in den Ohren, jagt durch jeden einzelnen Muskel im Körper und verstärkt das beklemmende Gefühl nur noch mehr.

Das Publikum schweigt, starrt auf die Bühne und erwartet nicht den nächsten Song, sondern den nächsten Akt. Ein Neubauten-Konzert ist selten ein „normales“ Konzert, aber diese Performance, wie es Blixa Bargeld bezeichnet, ist etwas Spezielles. Auf „Hymnen“ auf das Kaiserreich folgt eine Telegram-Korrespondenz zwischen den Cousins Zar Nikolaus II. und Wilhelm II. und „Der Beginn des Weltkrieges 1914 (Dargestellt Unter Zuhilfenahme eines Tierstimmenimitators)“ – ein Stück des Kabarettisten Joseph Plaut, das dieser 1926 aufgenommen hat und damals den Aufstieg Hitlers schon kommen sah, obwohl selbiger gerade in Haft saß.

"Sag mir, wo die Blumen sind?"

Ein besonderes Highlight ist „Sag mir, wo die Blumen sind?“, eine Anti-Kriegs-Hymne, die durch Marlene Dietrich auch im deutschsprachigen Raum bekannt wurde. Bargeld trägt dabei über seinem dreiteiligen Anzug einen weißen Umhang, spricht die Zeilen mehr als er sie singt und sorgt ein weiteres Mal für Gänsehaut, bevor er einige Nummern später „Ich gehe jetzt“ anstimmt und seinen eigenen Worten folgt.

KURIER-Wertung:

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