Ein Stück, an dem sich kauen lässt: "Blutbrot" im Theater am Werk

von Susanne Zobl
Die Südtirolerin Miriam Unterthiner zählt zum vielversprechenden Nachwuchs der Dramatik. Ihr Stück „Blutbrot“ verschaffte ihr den renommierten, mit 10.000 Euro dotierten Kleist-Förderpreis, den das Kleist-Forum und die Stadt Frankfurt an der Oder seit 1996 vergeben. Aktuell steht das Werk auf der Shortlist des Österreichischen Buchpreises für das beste Debüt.
Das Theater am Werk sicherte sich die österreichische Erstaufführung und holte Tomas Schweigen, den ehemaligen Leiter des Wiener Schauspielhauses, für die Inszenierung nach Meidling.
Die Bühne (Stephan Weber) nimmt sich auf den ersten Blick wie Geröll einer grauen Felsenlandschaft aus. Wer den Text kennt, wird das sofort als das Innere eines löchrigen Brotlaibs identifizieren. Denn Unterthiner lässt Brot zur Metapher für das Unsägliche werden. Sie erzählt von den Bewohnern eines Südtiroler Dorfs, das Nazi-Verbrechern zur Flucht über den Brenner verholfen hat. In einem Namedropping kommen etwa Klaus Barbie, Josef Mengele, Adolf Eichmann, Gerhard Bast und einige andere vor. Die Taten der Verbrecher und der Dörfler sind tief in der Vergangenheit vergraben. Doch auf dem Boden, wo einst die Ahnen die Täter schützten, wächst jetzt das Korn für das Brot, das täglich gekaut und verdaut wird.

Inspiriert habe sie dazu ihr Großvater, erklärte Unterthiner. Er habe ihr während der Corona-Lockdowns von einer „Grünen Grenze“ am Brenner erzählt, wo man ungesehen nach Italien gelangen könne. Die Autorin begann zu recherchieren und fand heraus, was sich dort zugetragen hatte.
Das Stück erinnert stark an die Texte der Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek. Zunächst ist jedoch nicht klar, ob diese Autorin mit Jelineks Mitteln spielt oder diese gar auf eine gewisse Weise ironisiert.
Zu Beginn sieht man Unterthiner als Projektion auf einer Leinwand. Unablässig kaut sie Brot. Da man mit vollem Mund nicht reden soll, spricht der Darsteller Josef Mohamed für sie. In einem Brief „an das liebe Theater“ stellt sie diesem frei, mit ihrem Text so zu verfahren, wie es ihm beliebt. Nur eine Bedingung gibt es, die Autorin verlangt einen Chor. Ähnliches kennt man von Jelinek.
Regisseur Schweigen ändert den Text nicht und formiert den Chor aus vier Personen (Thomas Frank, Isabella Händler, Lukas Koller und Violetta Zupancic). Sie treten mit weiß verhüllten Gesichtern in rosa-schwarzen Kostümen (Giovanna Bolliger), die an eine Tracht erinnern, auf. Sie sind „Das Dorf“, „Das Brot“ oder „Die Landschaft“.
Gesprochen wird deutlich, gespielt sehr ordentlich. Da trifft gut gemachtes Theaterhandwerk auf einen ambitionierten Text. Dessen Stärke ist sein Rhythmus. Dennoch wird man schneller davon satt, als das Stück endet. Sprachspiele, Kalauer wirken wie an Jelineks Sprachkunstwerke angelehnt. Am Ende taucht dann auch noch eine Figur namens Max Brod auf. Wie der Gefährte von Franz Kafka ins Geschehen passt, bleibt unergründbar. Man nimmt sein Erscheinen als weiteres Wortspiel zur Kenntnis wie das echte Brot, das im Publikum verteilt wird. Das applaudierte kauend.
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