Ein neu entdeckter Roman auf unsicherem Terrain
Es fällt schwer, dieses Gefühl loszuwerden, dass hier etwas nicht stimmt.
Dass etwas im Roman nicht stimmt, das sowieso.
Beim Bau eines Damms, der den Persischen Golf trockenlegen soll, wurden sumerische Tontafeln übers Paradies gefunden. Ein Althistoriker aus Kanada will sie sehen, doch wird er zu einer anderen Aufgabe genötigt: Die Tochter – Geliebte? – des Projektleiters ist verschwunden, er soll suchen.
Wer ist der Projektleiter? Ein Diktator? Tot noch dazu?
Und der Vogel im Lager der Bauarbeiter (der Zwangsarbeiter) ... der frisst Seelen und kackt Zimtstangen? NEIN, das stimmt nicht.
Mit Buzzati
Man ist zeitweise aber auch verunsichert, was die Entstehungsgeschichte dieses Textes und Martin Schneitewind (1945–2009) betrifft.
Denn so oft ist man gezwungen, im Zusammenhang mit Text und Autor (der nur ein Mal Autor war und sonst Beamter in Straßburg) das Wort „angeblich“ zu verwenden.
Schneitewind, Sohn französisch-deutscher Eltern, sei eine Laus im Pelz gewesen, der die Freunde aussaugte – ein Seelenschnorrer.
So charakterisiert ihn der Vorarlberger Schriftsteller Michael Köhlmeier. In Studententagen wohnten die beiden in einer WG zusammen. Köhlmeiers spätere Romanfigur Joel Spazierer ist Martin Schneitewind ähnlich:
Prächtig und tödlich wie die Welt. Ein Monster mit blonden Locken. Einer, der niemanden brauchte. Aber alle GEbrauchte.
Blockkade
Nun kam die Witwe zu Köhlmeier und übergab ihm dieses Manuskript:
In seinen italienischen Jahren hatte Schneitewind diesen Roman geschrieben – mit Dino Buzzati: Mailands Kafka, in dessen Klassiker „Die Tatarenwüste“ ein Soldat auf den Angriff wartet, jahrzehntelang, und als die Tataren wider Erwarten tatsächlich kommen, ist er zu alt zum Kämpfen.
Buzzati hatte in den 1960ern eine Schreibblockade. der junge Schneitereid war deshalb sozusagen der Chef im Team. Buzzati lektorierte (angeblich) nur. Aber der Verlag wollte allein seinen Namen auf dem Umschlag. Da brach Schneitewind angeblich ins Verlagshaus ein und verschwand mit dem Text ... den er angeblich 40 Jahre später ins Französische übertrug und überarbeitete. Angeblich steckt kein Buzzati mehr drinnen. (Dabei fügt sich das surreale Szenario gut ins Werk des Italieners.) Vielleicht aber viel vom Tiroler Raoul Schrott, der ins Deutsche übertrug.
Vor dem Schloss
Ein einzigartiges Tier ist „An den Mauern des Paradieses“ gewiss. Bibel- und Detektivgeschichte. Nicht zu zähmen. Nie biedert sich der Roman an. Will nicht geliebt werden. Nervt und bleibt anziehend. Nervt noch viel mehr.
Er ist wie: Adam und Eva stehen vor Kafkas Schloss.
Aber man würd’ viel lieber auf sicherem Terrain stehen.
Das Foto oben zeigt Raoul Schrott (links), der das Manuskript vom Französischen ins Deutsche übertrug; und Michael Köhlmeier
Martin
Schneitewind: „An den Mauern des Paradieses“ Nachwort von Michael Köhlmeier. Übersetzt von Raoul Schrott. dtv,
400 Seiten.
24,70 Euro.
KURIER-Wertung: ****
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