„Ein Glücksfall, diese Rolle“: Denis Ménochet spielt Fassbinder

„Ein Glücksfall, diese Rolle“: Denis Ménochet spielt Fassbinder
Der französische Schauspieler, als "Peter von Kant" derzeit im Kino, über seine Leidenschaft, in menschliche Abgründe zu tauchen

Von Susanne Lintl

Dass François Ozon ein glühender Fassbinder-Fan ist, hat er schon mit seiner Verfilmung des Stücks „Tropfen auf heiße Steine“ im Jahr 2000 bewiesen. Nun erweist der französische Erfolgsregisseur („8 Frauen“, „Swimming Pool“, „Frantz“) dem deutschen Regie-Enfant Terrible der Siebzigerjahre erneut die Ehre: In „Peter von Kant“, seiner Version von Fassbinders Theaterstück „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“, ersetzt Ozon die lesbische Modedesignerin Petra durch den schwulen Regisseur Peter, der – unzweifelhaft zu erkennen – als Alter Ego Rainer Werner Fassbinders daherkommt.

In einem schauspielerischen Kraftakt verleiht Denis Ménochet, langjähriger Mitstreiter Ozons, dem Wiedergänger Leben und Tiefe. Ménochet kleidet sich wie Fassbinder, er ist launisch und unberechenbar und genial wie Fassbinder, er liebt so leidenschaftlich wie Fassbinder.

„François hat mir mit dieser Rolle ein großes Geschenk gemacht“, schwärmt Ménochet im Interview, „die Tränen, die Wut, das Lachen, die Bösartigkeit, die Groteske – all das macht eine reiche und komplexe Persönlichkeit aus, wie Fassbinder sie war. Es ist ein Glücksfall, diese Rolle spielen zu können“.

War es nicht ein Parforceritt, all diese Emotionen des Berserkers Fassbinder so intensiv zu durchleben? „Nein, ich mag das. Das ist mein Beruf und das liebe ich. Dieses tiefe Eintauchen in die Rolle und in die Geschichte, die jene eines Kinogiganten unserer Zeit ist. Das einzig Schwierige war die Menge an Text, die ich zu bewältigen hatte. Da ist mir zugutegekommen, dass ich viel Theater gespielt habe und Textlernen gewohnt war“.

Im Film entflammt Peter von Kant für den Nachwuchsschauspieler Amir, den seine Freundin Sidonie (Isabelle Adjani) bei einem Besuch im Schlepptau hat. Ein betörend schöner junger Mann, der für Peter zum Jungbrunnen wird. Er lädt ihn spontan ein, bei sich zu wohnen, doch schon nach wenigen Monaten verliert die Beziehung für den Jüngling an Reiz. „Fassbinder war ein Genie, aber ein äußerst schwieriger Mensch. Er war nicht geeignet für eine dauerhafte, glückliche Beziehung“, resümiert Ménochet.

Überhaupt seien Fassbinders Filme „keine Seelentröster, sondern starker Tobak“. Als er sich zur Vorbereitung seiner Rolle die Filme noch einmal ansah, habe er das als beklemmend empfunden.

Ménochet ist gut im Geschäft, nicht nur in Frankreich. Er spielt immer wieder Parts in internationalen Produktionen, arbeitete mit Regisseuren wie Wes Anderson oder Quentin Tarantino.

„Ein Glücksfall, diese Rolle“: Denis Ménochet spielt Fassbinder

Mehrsprachig

„Es kommt mir zugute, dass ich als Sohn eines Erdölingenieurs in vielen Ländern gelebt habe und zweisprachig aufgewachsen bin“, sagt er. „Dadurch kann ich auch Rollen auf Englisch annehmen und überall mitmachen. Aber ich bin alles andere als ein Hollywoodstar. Ich bin oft selbst sprachlos, wenn ein Regisseur, den ich verehre wie Wes Anderson, anruft. Offenbar steht mein Leben unter einem guten Stern“.

Die für ihn eindringlichste Rolle war für Ménochet nicht jene in „Inglorious Basterds“ oder die des skurrilen Gefängniswärters in „The French Dispatch“, sondern jene des gewalttätigen Ehemanns und Vaters in Xavier Legrands Drama „Jusqu’à la Garde“ („Nach dem Urteil“, 2017). Ménochet spielt diesen gefährlichen und manipulativen Mann so intensiv und plastisch, dass man ihn als Zuseher Tage später nicht aus dem Kopf bekommt. Wie der Sohn, der den Vater nicht sehen will, bei den Besuchswochenenden fast vor Angst stirbt; wie die Ex-Frau panisch darum kämpft, dass der Gewalttäter ihre neue Adresse nicht herausfindet.

„Ja, das war ein Schlüsselfilm, der eigentlich aus einem Kurzfilm entstand. Diese Rolle des Brutalo-Mannes hat mich noch nach Drehschluss verfolgt. Ich wusste natürlich, dass das, was ich da spiele, keine Konsequenzen für mich im realen Leben hat. Dass ich dafür nicht ins Gefängnis komme. Aber so eine Rolle macht etwas mit dir. Ich brauche immer eine lange Zeit nach den cholerischen Szenen, um mich wieder zu beruhigen.“

Erschütterungen

Gibt es auch in Frankreich so eine hohe Zahl an Übergriffen gegen Frauen beziehungsweise an Frauenmorden? „Oja. Ich habe mich im Vorfeld von ,Jusqu’à la Garde“ mit einigen Frauen getroffen, die von ihren Männern bedroht und geschlagen wurden. Es war erschütternd. Testosteron macht die Männer unberechenbar und aggressiv gegenüber den Menschen, die ihnen eigentlich am meisten am Herzen liegen sollten. Sie wollen unbedingt das Sagen haben und greifen dafür zu den schlimmsten Mitteln.“

Wagt man beim Schauspielen mehr als im realen Leben? Ménochet wird nachdenklich: „Doch. Im echten Leben gibt es so viele Regeln und Konventionen, an die man sich halten muss. Aber wenn ich spiele, dann fühle ich ein tiefes Gefühl von Freiheit und bin ganz bei mir“.

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