"Double Blind": Sehen ohne Scheu

Ein Museumsraum mit einer Reihe von schwarzen Rahmen, die einen perspektivischen Tunnel bilden.
Robert Irwins Installation "Double Blind". Noch bis zum 1. September in der Wiener Secession.

Ich sage es gleich, ich habe nichts zu sagen.“
Robert Irwin steht inmitten seiner Ausstellung in der Secession in Wien, das schlohweiße Haar unter einer Baseball-Kappe mit Coca-Cola-Logo versteckt. Der 84-jährige US-Amerikaner hält nicht viel davon, seine Kunst zu erklären. „The name of the game is seeing“, sagt er, mit einem verschmitzten Funkeln in den Augen: Sehen heißt die Devise.

Ein Mann steht in einem Raum mit mehreren schwarzen Rahmen, die einen Tunnelblick erzeugen.
ROBERT IRWIN: "DOUBLE BLIND", at the Vienna Secession, Vienna, Austria
Im Hauptraum der Secession ist noch bis 1. September die neue Installation Double Blind zu sehen, eine von Irwins sogenannten „ortsbedingten“ Arbeiten. Sie besteht aus 30 raumhohen Rahmen, die exakt dem von der Architektur vorgegebenen Raster folgen. In seiner Helligkeit, Sauberkeit und Geradlinigkeit nimmt der Raum dadurch eine fast Ehrfurcht gebietende Aura an. Doch Scheu ist nicht angebracht. Die Installation lädt ein, sie zu erforschen. Durch türrahmenartige Öffnungen kann und soll man eintreten. Von verschiedenen Seiten bieten sich immer neue Blickwinkel und Sichtweisen.

Streich

Nicht selten spielt Irwin der Wahrnehmung einen Streich. Statt Stoff und Holz sieht man plötzlich spiegelnde Flächen aus schwarzem oder milchigem Glas. Und stellt überrascht fest, dass dort, wo man im Spiegel die eigene Reflexion erwartet hätte, ein anderer Museumsbesucher steht; dass sich dort, wo der Durchgang zum Foyer gespiegelt zu sehen sein müsste, ein Blick nach draußen auftut.

In Double Blind erforscht Irwin, der seine künstlerische Laufbahn in den späten 50er-Jahren als Maler begann, die Wahrnehmung und das daraus entstehende Verstehen. Wie in vielen seiner vergangenen Arbeiten, so wie der aktuell in der Londoner Pace Gallery laufenden Ausstellung „Who’s Afraid Of Red, Yellow and Blue III“, spielt er mit Fragen von Realität und Illusion, beschäftigt sich mit dem Licht und dem Zusammenspiel zwischen Kunstwerk und Umwelt.

Hingabe

Doch die tiefgründigen, philosophischen Überlegungen bleiben im Hintergrund. Auch für Double Blind gilt: Am besten wirkt das Werk, wenn man nicht zu viel nachdenkt und sich ganz dem Sehen hingibt.

Wer sich an Irwin sattgesehen hat, kann in der Secession noch zwei andere Ausstellungen besichtigen. Bei Stefan Lochers Homo Oeconomicus im Untergeschoß trifft Giotto auf Marx, der Philosoph Jacques Derrida wird zum Verhältnis von Sprache und Ökonomie befragt, und Kunst, Sprache und zwischenmenschliche Beziehungen werden als quasi marktwirtschaftliche Transaktionen gelesen.

Weniger ökonomisch geht es bei Rosella Biscotti im Grafischen Kabinett zu. Die Audiocollage The Side Room dokumentiert einen Traumworkshop mit Insassinnen eines italienischen Frauengefängnisses. In Wien hat Biscotti den Traumworkshop mit Mitgliedern des Vorstands der Secession wiederholt – die Ergebnisse kann man im Katalog nachlesen.

Daniela Fasching

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