Dostojewskijs Leben - unnötiges Anhängsel?
Die erste deutschsprachige Dostojewskij-Biografie seit mehr als 25 Jahren erlaubt es sich ausdrücklich, die privaten Krisen des Russen einzubeziehen.
Das ist offensichtlich nicht selbstverständlich.
In einer früheren Biografie hieß es,
Dostojewskijs „meist peinliches Leben“ sei bloß ein Anhängsel an sein Werk.
Die lebenslangen Schulden – die epileptischen Anfälle – das Todesurteil 1849 wegen „staatsfeindlicher Umtriebe“, erst am Hinrichtungsplatz in vier Jahre als Kettenhäftling in Sibirien umgewandelt – die Spielsucht, an deutschen Roulettetischen ausgelebt ...
Peinlich? Nur Anhängsel? Oder ein Platz, um Seelen der „undankbaren Zweibeiner“ (seine Definition von Menschen) zu studieren?
Man spürt in jeder Zeile:
Fjodor Dostojewskij ist DAS Thema von
Andreas Guski, Ordinarius für Slawische Philologie an der Universität Basel.
(Auch) Guski ist in der glücklichen und glücklich machenden Lage, jemanden mit seiner Sprache mitnehmen zu können.
Die Reise geht nach Russland, wo Dostojewskij abwechselnd eingesperrt, gefeiert, von Lenin als „lausiger Schriftsteller“ bezeichnet und von Stalin zur Persona non grata erklärt wurde ... und jetzt unter Putin mit Denkmälern und Straßennamen geehrt wird.
Eine Reise, die auch bei Kleinigkeiten einen Zwischenstopp einlegt – hier etwa:
Dostojewskij fordert seinen Bruder Michail auf, seiner (ersten) Ehefrau einen Hut zu spendieren – einen grauen oder fliederfarbenen mit schmalen Bändchen,weiß-grau gestreift. Genau so einer muss es sein.
Michail war Kummer gewöhnt
Es ist eine Reise, die zwar nicht mit einer Freundschaft endet – D. war kein Europäer, er war Antisemit, er war ... ein „böses Genie“, zu sehr Mensch – nur schwer zu ertragen. Aber mit gestillter Neugierde, diese Person betreffend, endet die Reise.
Und ist dank Biograf Andreas Guski zugleich Beginn für das Verlangen, sich nicht mit den zuletzt von Svetlana Geyer übersetzten großen Romanen wie„Verbrechen und Strafe“, „Böse Geister“ und „Der Idiot“, „Die Brüder Karamasow“ zu begnügen.
Da waren nämlich noch jede Menge andere Spannungen und Spaltungen, arm und reich, gut und böse, Glaube und Nihilismus, sterben wollen und leben wollen.
Der Trauerzug am 12. Februar 1881 in
Sankt Petersburg war einen ganzen Kilometer lang. Das hätte Dostojewskij bestimmt gefreut.
Dass allerdings zweieinhalb Jahre später der Trauerzug für seinem größten literarischen Feind Iwan Sergejewitsch Turgenjew viel, viel länger war:
Dostojewskij hätte geschäumt.
Andreas Guski: „Dostojewskij“
Verlag C.H. Beck.
460 Seiten.
30 Abbildungen.
28,80 Euro.
KURIER-Wertung: **** und ein halber Stern
Kommentare