"Don Carlo": Einzigartiges Finale ohne den Tenor
Pannen.Die Aufführungsserie von Giuseppe Verdis " Don Carlo" an der Wiener Staatsoper steht unter keinem guten Stern. Bisheriger Höhe- bzw. Tiefpunkt: Der Fast-Abbruch einer Vorstellung am Donnerstag.
Roberto Alagna, der exzentrische, aber oft exzellente Tenor, begann in der Titelpartie einigermaßen sicher, fühlte sich zunehmend schlechter und warf schließlich lange vor dem Ende das Handtuch. Nach der zweiten Eboli-Arie musste Operndirektor Dominique Meyer vor der Vorhang, um zu erklären: Alagna könne nicht mehr weitermachen.
Die Vorstellung wurde aber nicht abgebrochen. Stattdessen gab es noch den Tod des Marquis von Posa (George Petean) zu hören, allerdings ohne Mitwirkung eines Tenors; sowie die letzte Arie der Elisabeth (Adrianne Pieczonka), allerdings ohne das Finale. Es fehlten in etwa 20 Minuten Musik.
Kein Einspringer mehr
Alagna war Ähnliches schon bei der "Don Carlos"-Produktion (frz. Fassung) in der Regie von Luc Bondy in Paris widerfahren. Damals hatte stets ein Ersatz bis zum Ende warten müssen. In Wien ist die sogenannte Cover-Besetzung nur bis zu Beginn der Vorstellung zur Anwesenheit verpflichtet. Ob Alagna die verbleibenden zwei Vorstellungen (Sonntag sowie 2. 10.) singt, steht noch nicht fest. Der Vorfall von Donnerstag war für Wien jedenfalls einzigartig.
Schon bei der ersten "Don Carlo"-Aufführung vergangenen Sonntag hatte Giacomo Prestia als Philipp II. nach dem zweiten Akt w. o. geben müssen. Sorin Coliban sang den Rest der Vorstellung mit Notenpult von der Seite, Prestia spielte. Auch die Eboli musste an diesem Abend umbesetzt werden. Monica Bohinec sang anstelle der angekündigten Elena Maximova, die ab der zweiten Vorstellung wieder fit war.
Große Oper – das bedeutet auch große Gefühle, große Gesten, große Dramatik und überlebensgroße Tragödien. Insofern ist die aktuelle Spielserie von Giuseppe Verdis "Don Carlo" (Reprisen: 25., 28. September und 2. Oktober) ein Musterbeispiel für dieses Klischee.
Denn das Drama um Liebe, Religion und Staatsräson spielt sich im Haus am Ring ausschließlich in den Köpfen der Besucher ab. Die "Regie" von Daniele Abbado ist wie schon bei der Premiere 2012 kaum vorhanden. Ein paar verschiebbare schwarze Wände und ein kleines Feuerchen bei der Autodafé-Szene – mehr gibt es nicht. Die Protagonisten sind ganz auf Eigeninitiative angewiesen. Und insofern macht es nicht einmal etwas aus, wenn ein Sänger am Bühnenrand mit Notenpult singt, weil ein anderer Kollege stimmlich nicht mehr weiter kann.
Starker Held
Aber der Reihe nach: Im Zentrum des Interesses dieser "Don Carlo"-Serie stand naturgemäß Startenor Roberto Alagna, der – wie er im KURIER-Interview erklärte – für Wien noch sehr viele, spektakuläre Pläne hat. Und Alagna rechtfertigt dieses Interesse. Sein Carlo ist leidenschaftlich, impulsiv, anrührend in seiner Verzweiflung und vokal sehr präsent. Alagna hat alle für diese Partie geforderten Höhen, sein Tenor verfügt auch über die nötige Strahlkraft, kann sich in den intimen Momenten dennoch fein zurücknehmen. Ein letztlich gefeiertes Wiener Rollendebüt nach Maß.
Weniger gut erging es seinem Bühnenvater Giacomo Prestia als Filippo II. Prestia musste sich bei seinem Wiener Rollendebüt bereits vor Beginn ansagen lassen; nach dem zweiten Akt ging aufgrund einer Indisposition nichts mehr. Prestia "spielte" tapfer weiter; am Bühnenrand sang der sehr gute Sorin Coliban diese Rolle. Dass der Bassbariton gleich mit der berühmten (und diffizilen) Arie "Ella giammai m’amò" starten musste, war sicher kein leichtes Unterfangen. Umso mehr: Kompliment!
Starke Frauen
Auch als Einspringerin (allerdings vor Beginn) war Monika Bohinec als Prinzessin Eboli im Einsatz. Die Mezzosopranistin bewältigte diese Aufgabe tadellos, fand nach etwas verhaltenem Beginn zu höchster Dramatik und vokaler Emphase. Ähnliches gilt für Adrianne Pieczonka, die sich im Laufe des Abends zu einer stimmlich und darstellerisch idealen Elisabetta steigerte. Pieczonkas Sopran ist längst im schweren Verdi-Fach angekommen und beeindruckt mit stimmlichen Schattierungen.
Eine Tugend, die auch George Petean als schlicht grandioser Marquis Posa unter Beweis stellen konnte. Petean singt diesen Rodrigo extrem machtvoll, dabei dennoch stets auf Linie – das bekannte Duett mit Alagnas Carlo wurde zu einem absoluten Höhepunkt. Wie auch die Auftritte des Großinquisitors dank des stimmgewaltigen, hervorragenden Ain Anger in den Bann zogen. Solide besetzt waren die kleineren Partien (Jongmin Park als Carlo V., Valentina Nafornita als Stimme vom Himmel).
Dass dieser "Don Carlo" trotz der szenischen Tristesse funktioniert, ist auch Dirigent Alain Altinoglu und dem spielfreudigen Orchester geschuldet. Altinoglus Verdi steht im Saft, ist packend, aufwühlend, mitunter drastisch zugespitzt. Großer Oper, wenn man die Augen schließt.
KURIER-Wertung:
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