An den Sonne-Mond-Mann glaubt man viel lieber

Der Sonne-Mond-Mann hat ein gelbes Hemd und eine gelbe Hose und einen gelben Korb, in dem er abwechselnd Sonne und Mond aufbewahrt. Jeden Abend holt er die Sonne vom Himmel und hängt den Mond auf.
Im Sommer tauscht er später aus, denn er spielt gern draußen ein bissl länger ...
So erzählt man im
Iran.
Ganz wichtig ist, dass der Erzähler am Ende sagt, ob die Geschichte Wahrheit oder Lüge ist.
Das ist nicht immer ganz einfach.
Saba zum Beispiel erzählte schon als Elfjährige – das war kurz nach der Islamischen Revolution 1979 – von ihrer Zwillingsschwester Mahtab, sie sei mit Mama nach
Amerika geflüchtet.
Später erzählte sie, Mahtab habe sich in den USA die Nase kleiner machen lassen, sie studiere in Harvard, erobere einen Zeitschriftencover-Prinzen ...
Falsch, aber wahr
Allerdings sagen die Erwachsenen: Schwester Mahtab ist als Kind im Kaspischen Meer ertrunken; und die Mutter – Aktivistin gegen Khomeini – wurde verhaftet.
Das wird so richtig sein.
Aber trotzdem ist
Sabas Geschichte wahr.

Dina Nayeri – geboren in Teheran, als Achtjährige nach Oklahoma emigriert, als Harvard-Absolventin unglücklich, aber als Geschichtenerzählerin „im Himmel“ – ist in ihrem Debütroman der Frage nachgegangen:
Was wäre gewesen, hätte sie im Iran bleiben müssen?
Die iranische Exilantin träumt sich in den Iran zurück und lässt ihre Heldin Saba vom Amerika der Hamburger und Cowboyhüte träumen.
Eine hübsche Idee.
Vorausgesetzt, man hält es aus, dass ein Mädchen auf der Straße von einem Moralwächter halb tot geprügelt wird, weil unter ihrem Mantel eine rote Schuhspitze sichtbar wurde.
Im Norden bei den Reisfeldern wächst Saba Hafezi als Tochter eines christlichen, westlich orientierten Geschäftsmannes auf. Er erlaubt ihr, auf dem Schwarzmarkt Beatles-Musikkassetten und Filme wie „Club der toten Dichter“ und sogar Salman Rushdies „Satanische Verse“ zu kaufen. Er besorgt ihr alte amerikanische Zeitschriften. Angst um sie hat er immer.
Den Mullah besticht er mit Opium, damit er wegschaut, wenn sie ihr Haar zeigt bzw. den Nachbarsburschen küsst.
Saba und ihre Freunde werden zehn Jahre im Iran begleitet, bis 1992.
Die Gefühle, die der Roman auslöst, sind vielfältig. Liebe zu den Menschen ist dabei. Bewunderung. Aber auch große Traurigkeit. Und Zorn: Weil so vieles einfach nicht wahr sein darf. Weil es einfacher ist, an den Sonne-Mond-Mann zu glauben als an iranische Verhältnisse.
KURIER-Wertung: **** von *****
Es ist fast unangenehm, einem Klappentext recht geben zu müssen. Bei „Wer mit Hunden schläft“ steht, der Ton gemahne an Thomas Bernhard und sei anklagend wie Franz Innerhofer.
Passt.
Ob man dem Mürzzuschlager Harald Darer damit etwas Gutes tut?
Man könnte ja auf die Idee kommen, Bernhard zu lesen, wenn man jemanden schimpfen hören will; und Innerhofers „Schöne Tage“ (1974) über das Elend und die Brutalität und den Katholizismus am Land – in seinem Fall das Salzburger Land.
Man könnte auch zu einem „Brenner“-Krimi von Wolf Haas greifen, denn auch in diesem Rhythmus zuckt Darers traurige Geschichte mitunter.
Und doch ist sie etwas Eigenständiges. Das sind ja alles gute Leute sozusagen, und zwischen ihnen schlängelt sich dieser Anti-Heimatroman auf einem neuen Weg.
Schwänze ab
Es geht um den Straßenbahnfahrer Herrn Norbert.
„Unter der Idylle“, sagt er unmittelbar vor der Frühpensionierung zu seinem Hund, der Kreisky heißt, „ist das Ungute zu Hause. Je idyllischer, desto unguter.“
Er redet oft in die Erzählung seines Lebens hinein.

Aber die Aussicht, die war schön. In der Ferne Rax und Schneeberg. Touristen kamen gern. Der Leitenbauer und die Leitenbauerin verachteten die Urlauber. Ihr Geld nahmen sie gern.
„Norli“ musste alle umbringen im Kopf, um sie auszuhalten. Als er seine Mutter und den Leitenbauer beobachtete, wie er in sie eindrang, wurde er in ein Wiener Kinderheim verfrachtet.
Von da an war er der Norbert. Viel besser ging es ihm allerdings auch nicht.
Allmählich registrierte er, dass er einen runden Kopf und und einen quadratischen Körper mit kurzen Armen hat wie der Leitenbauer ... Norbert war gebrochen, ehe er sich zum ersten Mal aufrichten konnte.
Man legt „Wer mit Hunden schläft“ (wacht mit Flöhen auf) nicht aus der Hand. Die Dichte des Romans hält bis zur letzten Seite gefangen. Noch ist der Weg des 37-jährigen Autors schmal, nächstes Mal könnte er zur Straße werden.
KURIER-Wertung: **** von *****
Der erste Satz lautet folgendermaßen: „Als ich sieben war, zeigte mir mein Vater in einer Augustnacht beim Torch-Drive-in, wie man einem Mann so richtig wehtut.“ Er ist durchaus als Warnung zu verstehen. Zarte Seelen sollten jetzt lieber Katzen streicheln gehen. Denn: Es geht genau so weiter.
Gegen-Amerika
Der ehemalige Lkw-Fahrer Donald Ray Pollock, der erst mit 50 einen Schreibkurs an der Universität belegte (und Medienberichten zufolge ein reizender Mensch ist), beschreibt in seinem erst jetzt übersetzten Debüt „Knockemstiff“ (2008) ein düsteres, schwermütiges Gegen-Amerika. Knockemstiff ist der Name eines Dorfes in Ohio. Ein paar Häuser, eine Kirche, eine Tankstelle ... die handgezeichnete Landkarte, die der Prosa-Sammlung vorangestellt ist, suggeriert falsche Beschaulichkeit. In den Geschichten, die Pollock erzählt, in rauem Tonfall und nicht gerade nobel („... an dem Abend war es heißer als im Schlitz einer dicken Frau ...“), geht es um: Gewalt, Alkohol, Drogen. Aussichtslosigkeit, Aussichtslosigkeit und Aussichtslosigkeit.
Ein Mann trinkt Whiskey aus dem Aschenbecher seines Autos. Eine verwirrte junge Frau hat immer Fischstäbchen in der Handtasche. Ein tablettensüchtiger Arbeitsloser hält seinen kleinen Sohn für stumm – bis er entdeckt, dass er nur in seiner Anwesenheit nicht spricht.
Flucht?
Unmöglich.
Mehrere der lose miteinander verbundenen Kurzgeschichten, die sich über mehrere Jahrzehnte erstrecken, handeln von Fluchtversuchen. Aber Pollock ist gnadenlos. Knockemstiff ist gnadenlos. Ein bösartiger Flecken Erde, an dem seine Bewohner festkleben wie an Fliegenpapier ... Der junge Daniel gerät in die Hände eines psychopathischen Truckers namens Cowboy Joe. Zwei Teenager fahren statt nach Kalifornien tagelang um den Ort herum und fressen Pillen wie Zuckerl.
Einzig der Leser kann diesem literarischen Horrortrip entfliehen – indem er das Buch weglegt. Aber es wird ihm schwerfallen.
KURIER-Wertung: **** von *****
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