Zehn internationale Skaterinnen und Skater (ergänzt um heimischen Skater-Nachwuchs) rasen über Rampen und Kanten, brettern mit Vollgas durch den (großartig errichteten) Holzpark, lassen E-Gitarren klingen, schreien und singen sich ihr Lebensgefühl von der Seele. Einsamkeit und Gemeinschaft, die Suche nach Halt – das sind Ingvartsens Themen. Diese bereitet sie in einer perfekten Choreografie samt erlaubter Improvisationen und ergänzt um (Achtung: Fachbegriffe!) Kickturns, 180s und Boardslides auf.
Das alles hat Kraft, Energie, kann auch laut werden, berührt in seiner performativen Qualität. Peter Jarolin
Ein Strand in 24 Liedern
Bei der Biennale in Venedig 2019 verschaffte „Sun & Sea“, eine Mischung aus Oper und Live-Kunstinstallation, den litauischen Künstlerinnen Rugilė Barzdžiukaitė (Konzept, Regie), Vaiva Grainytė (Libretto) und Lina Lapelytė (Musik) den Goldenen Bären.
Zurecht, wie der Ausblick von den oberen Stockwerken des Semperdepots auf den perfekt nachgebildeten Strand zeigt. 24 Lieder und Arien, fulminant von einem 18-köpfigen Ensemble im Chor und solistisch vorgetragen, liefern den idealen Begleitsound für die bevorstehende Apokalypse. Der „Sonnencreme-Bossa-Nova“ gibt einen gelassenen Auftakt. Die Strandgesellschaft hat ihre Lager auf Liegestühlen und Handtüchern eingerichtet. Die einen spielen Federball, andere Boccia, ein Hund wird mit frischem Wasser versorgt, man liest, man schläft, eine Frau strickt, Paare cremen einander ein … Da fehlt nichts. Idylle pur.
Der Strand, ein Sehnsuchtsort, eine heile Welt. Irrtum! Die Klangkulisse ändert sich, hypnotisierende Rhythmen, elektrisierende Klänge wechseln sich mit sanfter Musik ab. Die Katastrophen werden immer schlimmer, zunächst lässt nur ein Vulkanausbruch Flüge ausfallen, eine Frau berichtet vom Ertrinken ihres Ex-Mannes im Meer, eine Prise Ironie, wenn ein Veganer als Betrüger entlarvt wird, weil er Garnelen bestellt.
Die einen klagen, die anderen ignorieren die Vorzeichen des Unheils wie die „wohlhabende Mutter“, die mit klarem, kühlem Sopran ihre Urlaube besingt und damit angibt, dass ihr kleiner Sohn schon fast alle Weltmeere gesehen hat. Am Ende hat sich das Meer in einen botanischen Garten verwandelt, Badende tauchen im glitschigen, grünen Flaum. Die Musik dazu ist traurig und schön. Inniger Applaus.
Susanne Zobl
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