"Die Hochzeit des Figaro": Wo Susanna zum Struwwelpeter wird

Lauren Urquhart, Timothy Fallon, Daniel Schmutzhard und Annelie Sophie Müller (von li. n. re.)
Von Susanne Zobl
Volksoperndirektorin Lotte de Beer hat ihre Inszenierung von Mozarts „Le nozze di Figaro“ aus Aix-en-Provence 2021 an ihr Haus geholt. Omer Meir Wellber dirigiert.
Bei der Premiere stellt sich zunächst die Frage, was grober ist – die Regie oder was aus dem Graben kommt?
Dabei ist der Beginn sehr vielversprechend: Während der Ouvertüre faszinieren Figuren aus der Commedia dell'Arte mit gekonnten Slapstick-Einlagen, fantasievolle Kostüme verheißen Theatermagie. Doch damit ist Schluss, als sich der Vorhang hebt. Der Querschnitt eines Hauses wirkt ernüchternd. Links ein überfrachtetes Schlafzimmer, in der Mitte eine überdimensionale Waschmaschine, rechts, halb verdeckt, ein Wohnzimmer, wie man es aus US-Sitcoms kennt. Die Bühne wurde nicht ans Haus angepasst, daher bleiben wegen starker Sichteinschränkung die Logen geschlossen.
Bügelbrett
Der erste Teil ist total überfrachtet mit derben Späßen. Graf Almaviva ist ständig hinter Frauen her, zur Not vergeht er sich auch an einem Bügelbrett. Eine nette Pointe der Vergleich mit Falstaff, wenn ihm die Damen ein Geweih aufsetzen. Cherubino versucht, seine Dauererektion hinter einem Leintuch zu verbergen. Figaro feiert seinen Polterabend mit Kostümierten, Penisse tanzen durchs Geschehen. Wie Parodien werden Selbstmordversuche der Gräfin in Szene gesetzt. Susanna entreißt ihr in letzter Sekunde den Föhn und erleidet einen Stromschlag. Dann steht die wackere Zofe da wie Struwwelpeter.
Mit einem verfehlten Schuss bringt die Gräfin das Haus zum Einstürzen. In logischer Konsequenz ist die Bühne im zweiten Teil fast leer, bis aus einem Neon-Kubus eine gigantische Skulptur wie von Niki de Saint Phalle herauswächst und das Finale zum Happening verkommt.
Viel Getue
Das viele Getue im ersten Teil geht stark auf Kosten der vokalen Leistungen. Michael Arivony fügt sich als Figaro mehr ins Ensemble als sich in Szene zu setzen. Seinem wohltimbrierten Bariton fehlt es an Kern. Lauren Urquhart kann sich mit ihrem schlanken Sopran nur sehr schwer durchsetzen. Die Rosenarie intoniert sie (auch im Liegen) innig. Daniel Schmutzhard zeigt den Grafen Almaviva im ersten Teil wie die Karikatur eines Serienstars. Sein Bariton kann sich erst ab dem „Hai già vinta la causa“ entfalten. Matilda Sterby ist eine vokal beeindruckende Gräfin. Ihr expressiver Sopran überragt alles. Das „Dove son“ intoniert sie innig. Annelie Sophie Müller wird als Cherubino bei ihrer Arie so gehetzt, dass ihre Interpretation verhuscht wirkt. Im „Voi che sapete“ demonstriert die Mezzosopranistin, was sie drauf hätte. Von Jaye Simmons will man mehr als die Barbarina hören. Ihr Sopran verfügt über Kraft, Ausdruck und klingt in allen Lagen schön. Ulrike Steinsky zeigt eine durchgehend strickende Marcellina. Stefan Cerny kann auf seine Bühnenpräsenz setzen. Famos Daniel Ohlenschläger als Basilio.
Omer Meir Wellber leitet das Orchester vom Hammerflügel aus. Über weite Strecken dominiert seine meist grobe Lesart die Nivellierung. Seine Lust, in den Rezitativen zu improvisieren, nervt besonders nach dem „Porgi Amor“ der Gräfin oder wenn man ein paar Takte Richard Clayderman zu hören glaubt.
Das Premierenpublikum hatte keine Einwände.
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