Die Glut - von Sándor Márai

Ein Roman, veröffentlicht 1942, bald vergessen und erst durch Übersetzungen ins Französische und ins Deutsche Ende der Neunzigerjahre zum Welterfolg geworden. Ein ungarischer Autor, 1900 in der heutigen Slowakei geboren und mit 89 Jahren, nach Jahrzehnten des Exils, den Freitod wählend. „Die Glut“ von Sándor Márai, eine Geschichte wie aus dem 19. Jahrhundert, mit der sprachlichen Wucht eines Robert Musil oder Hermann Broch.
Im Mittelpunkt der Handlung steht Henrik, ein 75-jähriger General aus altem Adel im Ruhestand. Er lebt, einzig von der uralten Amme Nini und von Bediensteten umgeben, zurückgezogen in seinem Schloss am Karpaten-Rand. Und wartet. Wartet auf eine Nachricht, die ihn auf der ersten Seite des Romans endlich erreicht: Konrád, sein Kinder- und Jugendfreund meldet seinen Besuch an. Konrád, der vor einundvierzig Jahren plötzlich verschwand. Seitdem harrte General Henrik aus, denn er weiß, Konrád wird kommen, etwas wird ihn treiben, ihn zwingen und dann, jetzt endlich, wird der Tag der Wahrheit und Vergeltung kommen.

Was folgt, ist ein Kammerspiel der intensivsten Art. Eine ganze Nacht lang werden sie speisen und reden und schweigen. Emotional packend zeichnet Sándor Márai nicht nur die Jugend der beiden Freunde, sondern auch die im Untergehen begriffene Donaumonarchie nach. Die beiden alten Männer sitzen beim Essen, im Licht von Kerzen vor dem Kamin. Fast ausschließlich redet der General, erinnert sich an Paris, Wien und frühere – glückliche – Zeiten. Erklärt in ausufernden Theorien, wie es zum Bruch der Freundschaft kam. Langsam dröselt er Faden für Faden des Beziehungsgeflechtes auf, führt immer tiefer in das, was vor Jahrzehnten geschah und was ihn seitdem nicht mehr losgelassen hat: Der Tag, an dem Konrád verschwand, war der Tag, an dem Henriks Frau Krisztina aus dem gemeinsamen Haus auszog und bis zu ihrem Tod, neun Jahre später, kein Wort mehr mit ihm wechselte. Die Rekonstruktion dieser weit zurückliegenden Ereignisse, die das Leben aller drei Beteiligten radikal veränderte, ist das dramaturgische Gerüst des Romans. Aber nicht nur: Henrik und Konrád sind selbst Archetypen. Mit ihnen werden zwei unterschiedliche Lebensentwürfe beschrieben: Henrik reich, selbstsicher, von adeliger Herkunft, ein geborener Soldat. Konrád dagegen aus ärmlichen Verhältnissen und sensibel, ein Musiker, eine Künstlernatur. Kann eine Freundschaft so unterschiedlicher Männer Bestand haben? „Die Glut“ (der ungarische Originaltitel lautet in etwa „Kerzen brennen bis zum Ende“) bleibt wie wenige Bücher lange nach der Lektüre im Gedächtnis haften, auf eine seltsam intime Weise.
Die Beziehung der Freunde ist so tragisch wie das Leben des Autors selbst: Sándor Márai erlebte weder den weltweiten Erfolg seiner Bücher noch den Untergang des kommunistischen Regimes in Ungarn. Im September 1948 verließen er und seine Frau Ilona Matzner die Heimat, abwechselnd lebten sie in Italien und Amerika und ließen sich 1980 endgültig in San Diego (Kalifornien) nieder. Márai schrieb, veröffentlichte aber nur in kleinsten Auflagen oder im Eigenverlag. 1986 starb seine Frau an Krebs, kurz danach sein Bruder und schließlich sein einziges Kind, der Adoptivsohn János. Am 15. Jänner 1989, drei Wochen vor seinem Selbstmord, schreibt er ins Tagebuch: „Ich warte auf den Stellungsbefehl, bin nicht ungeduldig, will aber auch nichts hinauszögern. Es ist Zeit.“ Sándor Márai erschoss sich nach genau 41 Jahren im Exil. So als hätte er mit Henrik zusammen ausgeharrt.
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