Goldener Löwe für italienischen Dokumentarfilm

Ein Mann mit Brille hält eine goldene Löwenstatue in der Hand.
Die 70. Filmfestspiele enden mit einer großen Überraschung für Italien.

Abschiede können äußerst triumphal sein. Tsai Ming-liang, in Venedig für „Jiaoyou“ („Stray Dogs“) mit dem zweithöchsten Preis – dem Großen Preis der Jury – prämiert, will eigentlich kein Kino mehr machen: „Ich bin einfach sehr, sehr müde. Ich würde mein Schicksal gerne bitten, mich keine Filme mehr machen zu lassen. Aber in der Vergangenheit hat es unglücklicherweise immer wieder gefordert, dass ich neue Filme drehe. Man wird sehen“.

Als Tsai Ming-liang das einen Tag vor der Preisvergabe beim KURIER-Interview sagt, sitzt er noch entspannt auf der Terrasse des Grand Hotel Excelsior. Sein Film forderte das Publikum in den letzten Festivaltagen noch einmal heraus. Erzählt wird darin von einer Kleinfamilie, die in den verfallenen Hinterlassenschaften der Taiwanesischen Moderne lebt, aber der Film selbst ist wie eine Ruine: fast ohne Erzählung, mit minutenlangen Einstellungen.

Tsai Ming-liang konnte im Finale des Festivals noch am ehesten ästhetische Kontroversen auslösen.

Die Gewinner der 70. Filmfestspiele in Venedig

Ein Mann arbeitet in einem Hain von Dattelpalmen.

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Eine weinende Frau umarmt einen Mann mit geschlossenen Augen.

Eine junge Frau sitzt an einem Tisch in einer Küche.

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Ein Mann mit Bart und Hemd vor einem gemalten Bergpanorama.

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Eine ältere Frau mit blonden Haaren sitzt am Steuer eines Autos.

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Ein junger Mann in Uniform blickt nachdenklich in die Ferne.

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Ein Paar sitzt nebeneinander auf einem Sofa.

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Zwei Personen betrachten die Statue von Abraham Lincoln im Lincoln Memorial in Washington, D.C..

Drei Männer stehen in einem Raum, einer macht im Hintergrund Handzeichen.

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Ein Kind steht vor einem blauen Himmel und hält einen Sonnenschirm.

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Ein Mann und eine Frau sitzen im Dunkeln beieinander, beide wirken nachdenklich.

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Drei Männer sitzen auf einer Treppe, einer trinkt aus einer Flasche.

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Ein Mann mit lockigem Haar und gemustertem Cardigan steht neben einer Person in einer blauen Jacke.

Eine Gruppe von Schulkindern spielt im goldenen Licht eines Parks.

Für Diskussionen, allerdings erst nach der Preisverleihung, sorgte auch Gianfranco Rosi. Den Goldenen Löwen für seine Doku „Sacro Gra“, die eine Reihe von Menschen an der Römischen Ringautobahn porträtiert, hatte niemand erwartet.

In der Kombination mit Tsai Ming-liangs experimentellem Film wirkte das wie das Ergebnis einer unversöhnlichen Verhandlung in der neunköpfigen Jury unter der Leitung von Bernardo Bertolucci.

Die Gewinner der letzten Jahre

Ein Mann arbeitet in einem Hain von Dattelpalmen.

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Eine Frau kniet inmitten von Gerümpel, während ein Mann daneben steht.

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Zwei Männer in dunkler Kleidung mit ernstem Gesichtsausdruck.

Filmszene
Goldener Löwe für italienischen Dokumentarfilm

Filmszene
Zwei Männer mit schmutzigen Gesichtern stehen sich in einem dunklen Raum gegenüber.

Filmszene
Das Filmplakat für „Gefahr und Begierde“ zeigt Tony Leung und Tang Wei.

In einem zerstörten Gebäude hocken zwei Personen mit Blick auf eine Stadtlandschaft.

Jake Gyllenhaal und Heath Ledger umarmen sich in einer Szene aus dem Film „Brokeback Mountain“.

Filmszene

Fehlende Radikalität

Den weiten Ausblick, das radikale Kino vermisste man in Alberto Barberas Wettbewerbsprogrammierung oft, auch das mag diesen Goldenen Löwen erklären. Die Herbstfilme dieses Jahres blieben echte Exzesse weitgehend schuldig. Lange schien es als würden britische Regisseure den Festivaljahrgang mit einfallsreichem Qualitätskino dominieren.

Neben Stephen Frears Tragikomödie „Philomena“ (am Ende nur mit einem Preis für das beste Drehbuch ausgezeichnet) ließ etwa Jonathan Glazer in „Under The Skin“Scarlett Johansson als Alien in menschliche Haut schlüpfen und beobachtet abwechselnd hyperstilisiert und dann wieder extrem dokumentarisch, wie sie im regnerischen Schottland mitleidlos auf Menschenjagd geht.

Den Preis für die beste Regie ging statt dessen an ein stilisiertes Missbrauchsdrama aus Griechenland: „Miss Violence“ von Alexandros Avranas, der mit seinem Hauptakteur Themis Panou ausgezeichnet wurde.

Gewalt und extrem gesteigertes Formbewusstsein fand sich auch in zwei anderen preiswürdigen Wettbewerbsfilmen. Xavier Dolan, 24 Jahre altes Regiewunderkind aus Kanada, verschränkte in „Tom à la ferme“ Hitchcocksche Eleganz mit einer polysexuellen Leidenschaftsgeschichte rund um das Begräbnis eines jungen Mannes in der Provinz.

Die Wettbewerbsfilme 2013

Eine Frau mit Kopftuch lehnt auf einem Balkon über einem bunten Teppich.

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Ein Bergmann mit gelbem Helm und Stirnlampe blickt nachdenklich zur Seite.

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Eine Frau und ein Mann in Anzug stehen in einem Raum mit weißen Fliesen.

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Eine Frau führt eine Kamelkarawane durch eine trockene Landschaft.

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Zwei Frauen sitzen im Auto, eine telefoniert mit einem pinkfarbenen Handy.

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Ein junger Mann mit blonden Locken steht auf einem Feld und blickt zur Seite.

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Ein Mann in Sheriff-Uniform und Hut steht vor einem Auto.

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Eine ältere Frau betrachtet mit einem Mann im Anzug ein kleines Foto.

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Eine Familie sitzt an einem Tisch mit Speiseresten in einer Schwarzweißaufnahme.

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Drei Männer in Kostümen und ein älterer Mann beugen sich über einen Tisch mit Apparaturen.

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Eine Frau steht vor einem Gebäude, im Hintergrund sitzen Männer im Freien.

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Scarlett Johansson trägt einen Pelzmantel und schaut nach oben.

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Nicolas Cage steht mit einem Gewehr neben einem Jungen an einem Fluss.

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Ein Mann in Polizeiuniform mit einer Frau und einem kleinen Mädchen.

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Zac Efron in einem schmutzigen weißen Overall, möglicherweise am Set eines Films.

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Eine junge Frau malt ein Bild auf einer grünen Wiese unter einem Sonnenschirm.

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Donald Rumsfeld vor dem Logo des Pentagons.

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Drei Personen fahren mit einem Motorboot auf einem See entlang bewaldeter Ufer.

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Eine Rennstrecke für Modellautos unter einer Autobahnbrücke.

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Eine Familie mit Regenmänteln geht nachts auf einer nassen Straße entlang.

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Verlierer

Dolan war mit seinem Drama, das er mit tiefschwarzem Humor vorantrieb, der große Verlierer des Festivals. Er durfte sich nur über einen Preis des Internationalen Filmkritikerverbandes FIPRESCI freuen.

Dafür regierte im deutschen Kleinstadtuniversum der absolute Ernst: Philip Grönings „Die Frau des Polizisten“ übergab die darin geschilderten Familienqualen in sauber voneinander abgelöste Kapiteln dem Publikum zur Neumontage.

Der Jury war das immerhin ein Spezialpreis wert.

Die Jury 2013

Ein lächelnder Mann mit Hut und dunkler Jacke.

FILE ITALY VENICE FILM FESTIVAL
Eine lächelnde Frau steht vor einem Mikrofon.

GERMANY BERLIN FILM FESTIVAL 2013
Juliette Binoche lächelt auf einem roten Teppich.

FRANCE CANNES FILM FESTIVAL 2013
Eine Frau mit Pony hält eine kleine Kamera in der Hand.

ITALY VENICE FILM FESTIVAL 2011
Ein Mann mit Bart und hellblauem Hemd schaut zur Seite.

CHILE CINEMA
Ein Porträt von Carrie Fisher, die nach oben blickt.

AUSTRALIA SUPANOVA SYDNEY
Ein Mann mit grauem Haar gestikuliert während einer Pressekonferenz.

SPAIN MUSIC
Der japanische Regisseur Hirokazu Kore-eda trägt einen Smoking und eine Brille.

FRANCE CANNES FILM FESTIVAL 2013
Ein Mann mit dunkler Jacke sitzt draußen vor einem Gebäude.

FILE SWITZERLAND CINEMA RENATO BERTA

Bereits vor der großen Gala in der Sala Grande, in der am Samstag Abend das Festival von Venedig mit der Bekanntgabe der diesjährigen Preisträger zu Ende ging, stand ein Goldener Löwe fest.

William Friedkin (78), Regisseur von Filmen wie „Der Exorzist“ oder „French Connection“ wurde am Lido mit dem Preis fürs Lebenswerk ausgezeichnet.

Für seinen Galaabend hatte sich Friedkin seinen Film „Atemlos vor Angst“ (1977) ausgesucht, mit Roy Scheider in der Hauptrolle, der eine Ladung Nitroglyzerin auf unebenen Urwaldwegen zu einer brennenden Ölquelle bringen muss. Für Friedkin ist das ein Modell für die Konflikte der Gegenwart (in der sich Groß- und Mittelmächte mit der gegenseitigen Zerstörung bedrohen) wie er in Venedig kommentierte.

Friedkin feierte seine größten Erfolge in einer Ära, in der das klassische Hollywoodkino durch neue Erzählweisen herausgefordert wurde. Ein Umschwung, vergleichbar in seiner Dramatik mit den gegenwärtigen Umwälzungen der Medienszene. Bei der Pressekonferenz blieb Friedkin abgeklärter Realist: „Alles implodiert irgendwann. Sogar das antike Rom“, sagte er. „Junge Leute können heute etwas machen, was ich nie konnte. Sie können im Laden eine Digitalkamera kaufen, ihre eigenen Werke schaffen und sie auf ihre Webseite packen. Aber erst, wenn das erfolgreich ist, werden die Studios in echte Schwierigkeiten geraten. Gegenwärtig ist es immer noch wie in einem großen Casino, in dem alles auf eine Zahl, auf eine Karte gesetzt wird. Das ist Hollywood heute.“

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