Michel Houellebecq: Schon wieder entführt?

Ein Mann hat Klebeband über dem Mund.
Das Enfant terrible der französischen Literaturszene ist gerade in einem neuen Kinofilm zu sehen. Zur Premiere kam er trotz Ankündigung nicht.

Zur gestrigen Österreich-Premiere von "Die Entführung des Michel Houellebecq" im Wiener Stadtkino hätte der umstrittene Autor eigentlich gemeinsam mit Regisseur Guillaume Nicloux anreisen sollen. Doch er kam nicht. Eigentlich nichts ungewöhnliches für den als schwierig und unberechenbar geltenden Houellebecq. In Zusammenhang mit dem Inhalt des Films ist sein Verschwinden allerdings doch irgendwie merkwürdig.

"Mit Michel Houellebecq zu arbeiten, ist immer ein Abenteuer", weiß Nicloux aus Erfahrung. "Manchmal gibt es dabei Enttäuschungen, dann ist es wieder extrem konstruktiv und stimulierend."

Der Ausgangspunkt zu dem Filmprojekt war eine Begebenheit im September 2011, die exakt die gleichen Vorzeichen hatte wie das jetzige kurzfristige Verschwinden Houellebecqs, der nicht mehr zu erreichen ist, seit er sich gestern nicht wie vereinbart zum Flughafen chauffieren ließ, um an der Seite seines Regisseurs an der Premiere in Wien teilzunehmen. Damals ließ er Termine einer Lesetournee für seinen mit dem Prix Goncourt ausgezeichneten Roman "Karte und Gebiet" sausen und war tagelang unauffindbar. In der Presse wurde rasch über eine Entführung spekuliert. Womöglich steckte gar Al-Kaida dahinter?

Für den gestrigen Premierentag waren zahlreiche Interviews mit dem Skandalautor geplant. Laut ersten Gerüchten soll es Houellebecq nicht gut gehen.

Langjährige Freundschaft

Mit Houellebecq, der selbst einmal eine Filmhochschule besucht hat, ist der 47-Jährige seit längerem bekannt, da die beiden denselben Verleger haben. "Unsere Freundschaft ist entstanden, als ich ihn vor drei Jahren gebeten habe, für einen Kriminalfilm eine kleine Rolle zu übernehmen. Er spielte einen Geheimdienstchef", erzählt Nicloux lächelnd. Im neuen Film musste der Autor eine ihm vertraute Figur spielen - sich selbst. "Die öffentliche Figur Michel Houellebecq interessiert mich nicht. Ich wollte mit den Zuschauern das Bild teilen, das ich von ihm habe. Mir macht es viel Spaß, mit ihm zu reden. Er kann sehr melancholisch, aber zugleich sehr witzig sein, sensibel und sehr berührend. Dann ist er gar nicht distanziert, kalt, berechnend, zynisch, islamophob und homophob, wie das öffentliche Bild von ihm ist. Vielleicht sind es ja zwei Seiten, die sich ergänzen."

Ungewöhnliche Dreharbeiten

Er habe im Drehbuch zwar präzise Verläufe und Situationen fixiert, Themen vorgegeben, über die Houellebecq mit seinen Entführern sprechen sollte. "Welche Worte sie dafür verwenden, blieb total ihnen überlassen. Ich wollte so wenig wie möglich verfälschen und so viele Realitäts-Partikel einfangen wie möglich. Ich habe ständig vier Kameras gleichzeitig mitlaufen lassen, keine Szene wurde wiederholt. Natürlich riskiert man viel damit."

Rund 20 Tage war das Filmteam in einer Villa zusammen, die Nicloux bereits für seinen Film "La Clef" verwendet hatte. "Die Bedingung war, dass Michel auch dort schläft." Wie hat er es geschafft, dass sein launischer Star nicht vorzeitig abgehaut ist? Nicloux grinst. "Sie sehen im Film doch, dass er ständig Handschellen tragen muss. Und dass wir Fatima dabei hatten (eine Prostituierte, die ihn im Film zweimal besuchen darf, Anm.), hat sicher auch geholfen..."

Festivalerfolg

Neben der Kino-Version existieren auch Fassungen mit vier halbstündigen bzw. zehn kürzeren Episoden. In Berlin und New York war der Film bereits sehr erfolgreich im Festivaleinsatz, in Frankreich kommt er erst nach der Erstausstrahlung auf arte, die für Ende August geplant ist, in die Kinos.

Für Nicloux, der bei der Berlinale 2013 mit der Diderot-Verfilmung "Die Nonne" mit Isabella Huppert und Martina Gedeck im Wettbewerb vertreten war, steht nach dieser hintergründigen, im Kleid einer Doku daherkommenden Low-Budget-Komödie mit einem unberechenbaren Haupt- und Selbstdarsteller als nächstes wieder ein Projekt mit zwei großen Stars des französischen Kinos an: Mit Gerard Depardieu und Isabelle Huppert dreht er im Death Valley ab Herbst die Geschichte zweier Filmstars, die nach dem Tod ihres Sohnes durch Briefe des Toten zusammengeführt werden. Der Film wird nicht Tal des Todes, sondern Tal der Liebe heißen.

Kommentare