Didi Bruckmayr, der Herr des Lärms, kommt zur Stille

Didi Bruckmayr, der Herr des Lärms, kommt zur Stille
Vor dem Auftritt seiner Band Wipeout am 8. 8. in Wien spricht der Sänger über den neuen Song „Tongue“ und blutige Performances

In der Klasse von Didi Bruckmayrs Sohn gab es einen eigenartigen Vorfall: Ein Kind kommt nicht mehr in die Schule, weil die Corona-Tests, die man dort verwendet aus China kommen. Seine Eltern denken, dass damit Roboterwürmer implantiert werden, die Daten auslesen.

Solche Verschwörungsmythen rund um die Pandemie, aber auch andere „krause Theorien“ karikieren Didi Bruckmayr und sein Wipeout-Kollege Wolfgang „Fadi“ Dorninger in ihrem neuen Song „Tongues“.

„Ideengeber dafür war zuerst der Wahnsinn um den Sturm auf das Capitol in Washington und der Zirkus um Donald Trump“, erklärt der 55-Jährige, der auch die legendäre Band Fuckhead gegründet hat, im KURIER-Interview. „Während des letzten Lockdowns habe ich den Song fertiggemacht. Und da musste ich mich zwangsläufig auch fragen, wie Leute aus dem gebildeten Mittelstand in derart haarsträubende Verschwörungstheorien reinkippen können, die man aus Science-Fiction-Filmen kennt.“

Experimentell

„Tongues“ und viele andere neue Songs der experimentellen Elektronikband können Besucher hören, wenn sie am 8. August um 20 Uhr zum Wipeout-Auftritt am Wiener Wallensteinplatz kommen. Denn Bruckmayr und Dorninger arbeiten fleißig an einem neuen Album.

Aber auch mit Fuckhead ist Bruckmayr wieder in dieser Richtung aktiv. Den Unterschied zwischen den beiden Projekten beschreibt er so: „Beides ist experimentelle Musik, die sich am elektronischen Underground orientiert. Mit Wipeout haben wir uns vom Synthiepop zu moderner Bassmusik hin entwickelt. Bei Fuckhead haben wir Instrumente dabei, die Wurzeln im Punk haben. Wir machen elektronischen Noiserock – nach wie vor mit performativem Einschlag.“

„Nach wie vor“, sagt er, weil er die exzessive Bühnenshow, mit der die Band Schlagzeilen machte, schon länger zurückgefahren hat.

Bekannt wurden Fuckhead wegen der brachialen Körper-Performances, ihren nackt ausgeführten, oft blutigen Ritualen, bei welchen sich Bruckmayr Fleischhaken durch die Brust trieb und daran aufhängen ließ. „Das geht auch am Rücken“, sagt er. „Da kannst du Tonnen dranhängen und es tut gar nicht so weh.“

Das Besondere daran, war aber ohnehin nicht der Schmerz. Bruckmayr kam dadurch in einen Zustand der Ekstase und wollte „wie ein fahrlässiger Schamane gemeinsam mit dem Publikum“ zu diesen Glückszuständen kommen.

Um Provokation, sagt er, ging es nie: „Ich habe mich immer als sinistren, aber charmanten Entertainer gesehen, der die Leute an der Hand nimmt und sagt, wir gehen gemeinsam in Gegenden, die ungewöhnlicher sind, wo wir was riskieren müssen. Dorthin, wo es bitte ja nicht so ist, wie im Alltag.“

Einer der Einflüsse dafür war, dass Bruckmayr schon als Jugendlicher über seinen Vater, einen Kunstsammler, mit den Wiener Aktionisten und Werken und Aktionen von Rudolf Schwarzkogler und Hermann Nitsch in Kontakt kam. „Das hat mich sehr beeindruckt. Und vor allem habe ich mich nicht davor gefürchtet. Ich habe das als sehr sinnlich empfunden.“

Zirkus

Nach einer letzten derartigen Performance 2008 bei der Ars Electronica, hörte Bruckmayr aber mit dem Aufhängen auf. Die Show begann, von der Musik abzulenken und zum Zirkus zu verkommen. Aber vor allem war es extrem anstrengend: „Wenn du an den Haken hängst, verlierst du das Gefühl von Schwerkraft. Man verlässt sozusagen den Körper und der Geist beginnt zu wandern. Wenn man aber wieder auf die Erde kommt, knickt man ein. Die Wunden heilen zwar extrem schnell. Aber man geht tagelang wie auf Watte.“

Bruckmayr lernte, diese Zustände der Ekstase und außerkörperlichen Erfahrungen auch über Meditation zu erreichen, und kam zu dem Schluss: „Den Rest brauche ich nicht mehr!“

Hochschulprofessor

Heute arbeitet der Tattoo-Fan, der auch einmal Boxer war, zusätzlich als Videokünstler und Schauspieler, tritt mit seiner „leistungsfähigen“ Stimme, die mühelos zwischen Genres wechseln kann, in Opern auf. Vorträge zum Thema „Fürsorgepolitik in der NS-Zeit“, zu denen er aufgrund der darüber verfassten Dissertation am Ende des Wirtschafts- und Sozialgeschichte-Studiums eingeladen wurde, hat er länger nicht mehr gehalten.

Aber er unterrichtet an der Kunsthochschule Linz am Institut für „Zeitbasierte Medien“ das Fach „Resonanzräume und wüste Gesänge“. Eine weitere Lehrverpflichtung kommt jetzt am neuen Lehrstuhl für „Akustische Ökologie“ dazu.

„Da geht es nicht nur ums Hören, sondern auch darum, wie man den uns umgebenden Lärm reduzieren kann, weil er devastierende Auswirkungen hat. Das ist schon lustig: Ich war der Herr des Lärms und beschäftige mich jetzt mit Stille.“

Kommentare