Der Wutboy von Deichkind braucht Krieg für den Frieden
Er lässt die Bombe hochgehen, weil im Bioladen Chiasamen rumliegen. Er hasst Liebespaare und alle, die debattieren und wieder nichts entschieden haben. Und er weiß: Willst du den Frieden wahren, braucht es noch mehr Kriegsmilliarden.
Das ist das Bild, das Deichkind in ihrem Song „Wutboy“ von dessen Hauptfigur zeichnen. Das Lied ist eines von 13 neuen, die die Rapper Porky, Kryptik Joe und der Showverantwortliche La Perla für ihr eben erschienenes Album „Neues Vom Dauerzustand“ aufgenommen haben. Das Stimmungsbild des Wütenden runden sie perfekt mit ihrem typischen Elektro-Punk-Sound mit rasenden Rhythmen und metallischen Computer-Riffs ab.
Entstanden ist „Wutboy“ über längere Zeit während der Pandemie, wobei die Zeile „Willst du den Frieden wahren, braucht es noch mehr Kriegsmilliarden“ erst später wegen Putins Krieg gegen die Ukraine dazukam. Hauptsächlich geht es aber um die Spaltung der Gesellschaft durch Corona, um Pegida und Rechtsextremismus.
„Ich bin der Meinung, dass der, der schreit, unrecht hat“, erzählt Rapper Porky im Interview mit dem KURIER. „Die Leute von Pegida sind meistens schreiende, rumbrüllende Männer, die sehr viel Wut in sich haben, aber gar nicht wissen, wo die herkommt. Sie meckern, weil sie eine Ohnmacht spüren. Die Psyche ist ja wie eine Zwiebel aufgebaut: Oben schreit einer rum, darunter ist Traurigkeit und darunter Verzweiflung. Der schreiende Wutbürger ist die oberste Schicht der Auseinandersetzung mit den Problemen. Aber rumschreien und andere Leute dafür verantwortlich machen, führt zu gar nichts und ist das schwächste Glied im Diskurs.“
Für La Perla steckt in diesem Song auch das Thema Hass im Internet: „Die Frage, was machen die sozialen Medien mit uns als Gesellschaft, und welche Regeln gelten dort, ist ein Riesenproblem. Zu welcher Gesellschaft führt es, wenn Algorithmen die Posts bevorzugen, in denen besonders kontrovers diskutiert und polarisiert und Faktentreue nicht belohnt wird? Ich hoffe, dass sich da etwas ändert, aber wir können auch nur diese Beobachtung künstlerisch verarbeiten und hoffen, dass das zu einem Teil eines gesellschaftlichen Diskurses wird.“
Viel Hoffnung, dass sich daran schnell etwas ändert, hat er aber nicht: „Da fühle ich mich schon recht machtlos gegenüber riesigen Konzernen, die zu den mächtigsten der Welt gehören.“
So eine Ohnmachtssituation beschreiben Deichkind in dem Song „Kein Bock“. Für Porky ist das Ohnmachtsgefühl nämlich das unangenehmste: „Wenn du Angst hast, kannst du immer irgendetwas machen, wegrennen oder nach vorne preschen. Aber wenn jemand ohnmächtig ist, weiß er nicht, was er tun kann. Viele Leute sind mit der derzeitigen Situation in der Welt einem Ohnmachtsgefühl ausgesetzt. Und ich persönlich auch.“
Wie immer gehen Deichkind all diese Themen humorvoll an – genau wie die Abhandlung des Älterwerdens in „Kids In Meinem Alter“, oder die Kritik an der Konsumgesellschaft („Auch Im Bentley Wird Geweint“) und die Beschreibung des Italien-Urlaubers, der den Ballermannstil liebt („Lecko Mio“).
Mit einem souligen Jodler lässt „In Der Natur“ aufhorchen, ein Song der nicht die Schönheit, sondern die Nachteile der Natur beschreibt.
„Ich habe mir mit Porky Gedanken gemacht, was wir gesellschaftlich für ein Verhältnis zur Natur haben“, erzählt Kryptik Joe. „Ich fand diese Ambivalenz, die wir als Stadtmenschen haben, spannend: Dass man einerseits so romantisch darüber denkt, sagt, die Natur ist wunderschön mit ihren Bergen, Blumen und Wiesen. Aber andererseits ist man dann so ein bisschen verloren: Wenn man in der Natur ist, nerven die Mücken, oder es ist zu heiß oder was immer.“
So ist „Neues Vom Dauerzustand“ wieder voll mit Texten im typischen Deichkind-Stil, der häufig ambivalent bleibt und als Satire und Ernst gleichzeitig gelesen werden kann. Aber das ist nicht unbedingt Absicht, wie La Perla erklärt: „Jeder Mensch in diesem Leben und in dieser Welt hat mit Ambivalenz zu tun. Dass das in unseren Texten vorkommt, liegt an den Beobachtungen, die wir in dieser Welt machen und in den Songs sichtbar machen.“
Und Porky fügt hinzu: „Ich möchte damit schon auch unsere eigenen Zweifel, die eigene Ambivalenz bei bestimmten Themen zeigen.“
INFO: Ihre nächste Tour starten Deichkind in Wien. Am 21. 6. treten sie in der Wiener Stadthalle auf.
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