Der Tote mit meinem Namen - Von Jorge Semprún
"Ich werde mit seinem Namen leben, er wird mit dem meinen sterben. Kurz, er wird mir seinen Tod schenken, damit ich weiterleben kann." Jorge Semprún (1923-2011)
Jorge Semprún – 1923 in Madrid geboren und im Juni 2011 in Paris verstorben – war einer der großen spanischen Politiker und Literaten unserer Zeit.
Er ist der Ich-Erzähler dieses 2002 veröffentlichten Buches, das von seinen Erfahrungen im KZ Buchenwald berichtet. Gerade einmal zwei Tage im Winter 1944 umspannt der Erzählbogen, der aber immer wieder von Rückblenden, reflexiven Einschüben und Vorausblicken unterbrochen wird.
Semprún ist als politischer Gefangener eingebunden in die Kommunistische Partei, die sich auch im Konzentrationslager organisiert hat und geheim agiert. An einem Samstag warnen ihre Mitglieder den Ich-Erzähler: Aus Berlin habe die Gestapo des Lagers eine Anfrage zu Semprún erreicht. Das bedeutete in den meisten Fällen das Todesurteil – Deportation in ein Außenlager oder sofortige Exekution. Die Genossen wollen Semprún retten und hecken einen aberwitzigen Plan aus: Sie suchen einen "passenden" Sterbenden in der Krankenbaracke, dessen Identität Semprún annehmen soll. Am Sonntag wird wirklich der "Tote mit meinem Namen" gefunden, in der Nacht legt sich Semprún auf die Nachbarpritsche und begleitet ihn beim Sterben.
Dieses grausame Wochenende bildet die Folie für Semprúns so berührend wie grässlichen Einblick in die Vernichtungsmaschinerie der Nazis. Unvergesslich etwa seine Schilderung der Zwangsarbeiten im Steinbruch, wo die Gefangenen damit gequält werden, zu schwere Felsbrocken von einer Seite zur anderen und wieder zurück zu schleppen. Semprún beschreibt die entwürdigenden Zustände in den Gemeinschaftslatrinen, die menschenverachtende Kommandostruktur auch innerhalb der Gefangenen (sie wurden unterteilt in "Kapos", "Prominente", "Plebs" und "Muselmänner") oder seinen anrührenden Versuch, einen der "Muselmänner", wie die körperlich Schwächsten genannt wurden, mit Literaturzitaten und menschlicher Wärme aus seiner hoffnungslosen Lethargie zu reißen.
Dabei benutzt der Autor eine neutrale, dennoch eindringliche Sprache und reflektiert auch aus seiner Gegenwart heraus. Beispielsweise betont Semprún, wie merkwürdig es für ihn sei, wenn er auf Lesereisen angezweifelt werde: Ihm, den Zeitzeugen, glaube man etwa nicht, dass den Internierten in Buchenwald eine umfangreiche Bibliothek zur Verfügung stand.
Jorge Semprún gelingt mit "Der Tote mit meinem Namen" etwas, das den Text von anderen autobiografischen Berichten zu diesem Thema unterscheidet: Er verschiebt die Grenzen der Gattungen und macht aus einem Lebensbericht einen spannungsgeladenen Roman. Semprún erschafft einen Text, der nicht nur als erschütterndes Zeugnis funktioniert, sondern als große Literatur. Dieses Ziel erreicht er nicht nur mittels des ungewöhnlichen Spannungsbogens, sondern auch durch die Lebendigkeit seiner Figuren. Mit Menschlichkeit, Mitgefühl und Dankbarkeit setzt Semprún seinen Mitgefangenen ein Denkmal und fördert so Identifikationsmöglichkeiten, wie sie sonst eher in rein fiktiven Texten möglich sind. Semprún selbst formuliert es so: "Was ich nicht geschrieben habe, ist, als hätte ich es nicht erlebt. Schreiben ist für mich sowohl Widerhall des Bewusstseins als auch Widerhall der Existenz. Deshalb ist das Geschriebene realer als die tatsächliche Erfahrung."
Wer sich auf dieses Buch einlässt – oder auf seine früheren Bücher wie "Die große Reise" von 1963 und das 1980 erschienene "Was für ein schöner Sonntag!" – wird diese "tatsächliche Erfahrung" des Geschriebenen spüren. Und als Geschenk empfinden.
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