Der Spion, der aus der Kälte kam - Von John le Carré

Noch in den 1960er-Jahren hätte man bei dem Begriff „Thriller“ wohl eher mit den Achseln gezuckt und an Alfred Hitchcock gedacht oder allenfalls Patricia Highsmith. Damals sprach man noch von „Schauerroman“ oder – in der Zeit des Kalten Krieges – dem Spionageroman. Bis heute das wahrscheinlich bekannteste Werk dieser Art ist John le Carrés 1963 veröffentlichtes Buch „Der Spion, der aus der Kälte kam“. Hier finden sich schon alle Charakteristika, die bis heute einen guten Thriller ausmachen: nervenkitzelnde Spannung, rasante Actionszenen, gemeine Cliffhanger und sorgfältig gelegte falsche Fährten.
Erzählt wird auf den knapp 200 Seiten eine Spionagestory par excellence: Kurz nach dem Bau der Berliner Mauer kann der britische Geheimagent Alec Leamas nur zusehen, wie sein sorgfältig aufgebautes Spionagenetz in der DDR zerrissen wird: Einer nach dem anderen seiner Leute werden von der Gegenseite ausgeschaltet, der letzte in einer furiosen Eingangsszene an der Grenze und direkt vor seinen Augen. Leamas wird nach London zurückbeordert und vom Secret Service erneut auf geheime Mission geschickt: Er soll zum Verräter werden und sich von der Stasi kaufen lassen. Ein fingierter Abstieg beginnt: Suspendierung, Gerüchte, Alkohol und schließlich Gefängnis. Wie geplant, versucht die ostdeutsche Staatssicherheit Leamas zu kaufen, verfrachtet ihn nach Holland und schließlich in die DDR. Aber schon während der ersten Verhöre wird Leamas klar, dass er nur ein Bauernopfer ist im Spiel der Geheimdienste. John le Carré verzichtet auf die damals übliche Schwarz-Weiß-Zeichnung: Beide Seiten versuchen ihre Ziele durchzusetzen – und das mit allen Mitteln.

Mit „Der Spion, der aus der Kälte kam“ – le Carrés drittem Roman – gelang dem 1931 in der britischen Grafschaft Dorset geborenen Autor der internationale Durchbruch. Sofort wurde das Buch mit Preisen überschüttet, von Kollegen und Kritikern gelobt und die deutsche Übersetzung bereits 1964 im Wiener Zsolnay-Verlag veröffentlicht. Weltweit hat sich der Roman millionenfach verkauft, erst 2010 wurde er vom renommierten TIME-Magazine in ihre Liste der 100 „All-time-Novels“ aufgenommen. Bereits 1965, nur wenige Jahre nach Erscheinen, wurde er überaus erfolgreich mit Richard Burton in der Hauptrolle verfilmt – John le Carré arbeitete am Drehbuch mit. Auch seine folgenden Spionageromane schafften es bis heute in die Bestseller-Listen – le Carré, der mittlerweile die Achtzig überschritten hat, scheint ans Aufhören nicht zu denken. Noch immer haftet ihm die Legende des Spions an, der zum Schriftsteller wurde – obwohl er selbst seine Jahre beim britischen Geheimdienst als unspektakulär herabspielte.
„Der Spion, der aus der Kälte kam“ kann auch heute noch ohne Einschränkung überzeugen. Seinen besonderen Verdienst umschrieb die Schriftstellerin Daphne du Maurier so: „Ich habe dieses Buch unendlich genossen (. . .) wegen seiner bitteren Schärfe und seines Mitgefühls in der Themendarstellung, die dem Ganzen größere Tiefe verleiht.“ Und genau hier greift der Roman auch heute noch: Spannend und gut geschrieben, zeigt le Carré auf, wie Staatsapparate manipulieren und Menschen instrumentalisiert werden. Gerade in einer Zeit des Umbruchs offenbart „Der Spion, der aus der Kälte kam“ eine simple Wahrheit: Es sind nicht die Staaten, die wichtig sind, sondern die einzelnen Menschen. Gar zu schnell werden sie – wie der britische Agent Alec Leamas – dem vermeintlich großen Wohl geopfert.
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