Orvil Red Feather ist 14. Er würde gern beim kommenden Zusammentreffen der Völker, dem Powwow in Oakland, Kalifornien, zur wummernden großen Trommel in Tracht so tanzen, wie es die Ahnen getan haben. Er findet niemanden, der’s ihm beibringen kann. Red Feather muss die Tänze im Internet auf YouTube studieren. „Dort dort“ ist ein überfälliger Chor von Stimmen, die man sonst nicht hört – zusammengestellt von Tommy Orange, einem Cherokee (Foto oben). Er war damit im Finale um den Pulitzer Prize 2019. Es sind Stimmen von urbanen Indianern. Es ist die erste Generation, die in Städten geboren wurde. 70 Prozent leben in Städten. Vollblut. Halbblut. Viertel. Achtel. Registriert. Nicht registriert. Das Rauschen des Freeway ist ihnen vertrauter als jenes der Flüsse.
Predigt
Das Buch beginnt mit einem „Bombenessay“, wenn man das in aller Begeisterung so sagen darf. Eine Predigt aus der Hölle, ein bisschen Geschichte, Kevin Costner rettet die Indianer, und John Wayne erschießt sie ...
Danach wird aus dem Leben von zwölf Native Americans erzählt. Fast immer kommen Alkohol und Arbeitslosigkeit vor, da hilft ein Studium selten. Und alleinerziehende Mütter sind präsent. Väter nur hie und da – einmal macht jemand im Internet erstmals Bekanntschaft mit dem Vater. „Schick mir Foto! Scheiße, du bist ja wirklich mein Sohn!“ Sie alle kämpfen mit ihrer Identität, genau wie Tommy Orange (Vater Indianer, die Mutter weiß): Oft fühlen sie sich ... beides ... und nichts. Sie sind ... zu viel ... und nicht genug.
Mit großer Energie steuert dieser Debütroman auf den Powwow im Stadion zu. Auf parkenden Autos steht: „Wir sind noch da.“ Aber es wird keine Tänze geben. Es wird geschossen. Es wird erschossen. Einige haben dann hier kein Hier mehr hier.
Tommy Orange:
„Dort dort“
Übersetzt von Hannes Meyer.
Hanser Berlin.
288 Seiten.
22,70 Euro.
KURIER-Wertung: **** und ein halber Stern
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