Der Gebrauch des Menschen - Von Aleksandar Tišma
Als Aleksandar Tišma im Februar 2003 starb, bezeichneten viele den serbischen Schriftsteller als großen Chronisten der Grausamkeit des Zweiten Weltkrieges. Auch "Der Gebrauch des Menschen", 1976 in Belgrad erschienen und Tišmas bekanntestes Buch, dreht sich um diese Thematik. Der Roman spielt in Novi Sad, einer serbischen Universitätsstadt an der Donau, ab 1929 zum Königreich Jugoslawien gehörend, 1941-45 von Ungarn besetzt, im Kosovo-Krieg verwüstet, heute Hauptstadt der serbischen Provinz Vojvodina. Aleksander Tišma ging hier zur Schule und wurde hier begraben – der Autor kennt ihn sehr gut, den Schauplatz seiner Geschichte.
Erzählt wird im "Gebrauch des Menschen" vom Scheitern. Dem Scheitern einzelner, aber auch dem Scheitern einer Idee: Angesichts des Zweiten Weltkrieges, so Tišmas erschütternde These, müssen der Humanismus und alle ihm folgenden Denkmodelle als misslungen betrachtet werden.
Das Versagen der Menschlichkeit zeigt der Autor anhand seiner Figuren: Da ist Milinko Božić, ein intelligenter junger Bursche, der sich freiwillig meldet. Als Auszeichnung für seine Tapferkeit erhält er eine erbeutete deutsche Uniform. Milinko trägt sie, wird schwer verwundet und irrtümlich von den Feinden mitgenommen. In einem deutschen Lazarett, blind und mit zerschmettertem Kehlkopf, vegetiert er vor sich hin und stirbt unerkannt. Da ist Sredoje Lazukić, erst sexsüchtiger Kollaborateur, dann Partisanenkämpfer, dann Verbrecher. Und schließlich Vera Kroner, eine Deutschjüdin, die als Kind in Sredoje verliebt war. Sie wird ins Konzentrationslager verschleppt, dort sterilisiert und zur Prostitution gezwungen. "Feldhure" tätowiert man auf ihrer Brust ein. Diese drei Einzelschicksale verbindet Tišma über die Figur des Fräulein Annas, einer Deutschlehrerin, die alle drei als Kinder unterrichtete. Mit deren Tagebuch – gekauft 1935 und verbrannt 1950 – beginnt und endet der Roman, und über dieses Buch treffen einander auch Vera und Sredoje wieder.
Kein Happyend zu erwarten
Eine wirkliche Begegnung ist aber unmöglich geworden: Physisch wie psychisch gebrochen, gibt es für sie keine Zukunft. "Der Gebrauch des Menschen" ist ein brutales Buch. Keiner der Protagonisten ist ein Held, sie alle werden von der Maschinerie des Krieges benutzt und weggeworfen. Auch Novi Sad selbst wird zum Opfer des Terrors: Aus einem Ort, an dem vor dem Zweiten Weltkrieg Serben, Ungarn und Deutsche, Juden, Christen und Muslime friedfertig miteinander lebten, wird ein gleichgeschaltetes Schlachthaus.
Tišmas Buch quält mit erniedrigenden Szenen, es schockiert ob seiner Beschreibungen und zerstört jedwede Illusion. Ein Happy End ist nicht zu erwarten, ja sogar jedes allerletzte Quäntchen Hoffnung bleibt verwehrt. Und doch reißt dieses Stück Weltliteratur mit sich – wenn auch in einen Abgrund. Tišmas große Leistung ist dabei, dass er die Scham der Opfer in vollendeter Eindringlichkeit beschreibt: Sredoje fühlt sich schuldig und hilflos, Vera überlebt das KZ, aber nicht das Mitleid danach: Gequält bis ins Mark beginnt sie, wieder als Prostituierte zu arbeiten.
Nein, die Lektüre dieses Buches ist nicht leicht. Der Inhalt wiegt schwer, die Szenen sind grausam und wechseln oft. Die Sprache ist beschreibend und kommt fast völlig ohne Dialoge aus, zerrt so in distanzierte Beklommenheit. "Der Gebrauch des Menschen", zeigt uns Tišma, ist ein menschenverachtender. Aber dies zu verstehen und dagegen aufzubegehren – dabei hilft sein Roman wie kaum ein anderer.
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