David Lynch: Kein finsterer Kerl mit schwarzer Kapuze

David Lynch: Kein finsterer Kerl mit schwarzer Kapuze
Der amerikanischer Kultregisseur in seiner Autobiografie über „Twin Peaks“, Marlon Brando, seinen Hund und das Ohr im Gras.

Die Bild Zeitung hat sich die Anekdote herausgepickt: Marlon Brando trug gern Frauenkleider.
Man sollte allerdings ergänzen: Er zog sie an, um zu improvisieren, um  vor Publikum Theater zu machen.
Auch die Episode mit Michael Jackson wird jetzt gern zitiert: Acht Stunden ließ er sich schminken – für eine Nahaufnahme seines Gesichts; und die sinnlosen zwei Lieferautos mit Versace-Garderobe haben Regisseur David Lynch auch gewundert  ...
Ist ja gut. Sind ja schöne Geschichten aus dem aktuellen Buch „Traumwelten“. Jene leise Geschichte passt besser und ist interessanter, weil sie direkt von David Lynch und seiner Arbeitsweise handelt:
An „Eraserhead“, dem Debüt aus 1977, arbeitete er fünf Jahre und brauchte Geld. Manchmal jobbte er als Zeitungsausträger für 48,50 Dollar die Woche. In seinem VW durften ihn Freunde begleiten. Hinten. Vorne brauchte er Platz und Konzentration: Er warf das Wall Street Journal links und rechts aus dem Fenster, als gelte es, eine Kunstform daraus zu machen. Einige Häuser versuchte er mit der Zeitung so zu treffen, dass das Licht anging.

Auch „Traumwelten“ – im Gegensatz zur ebenfalls jetzt erschienenen faden Autobiografie Jean-Paul Belmondos – ist zur speziellen Kunstform geworden:
Die Journalistin Kristine McKenna  erzählt Kapitel für Kapitel von seinen Lebensstationen – und er ergänzt, er korrigiert, nimmt den Faden auf (oder auch nicht).
Beispiel: McKenna berichtet, dass die Geburt seines Sohnes bevorsteht … ihm fällt dazu ein, dass sein Hund Sparky, „die große Liebe“, gern in Wasserschläuche gebissen hat. In „Blue Velvet“ (1986) wurde Sparky ein Denkmal gesetzt.
Lynch wird  als „ lustig“ beschrieben, als clever, gut aufgelegt und mit M&M-Schokonüssen in der Tasche. Er war nie der finstere Typ im schwarzen Kapuzenmantel. Seine Kindheit war idyllisch, frei, doch begriff er früh, dass sogar bei den süßen Zwergen im Vorgarten die Dunkelheit lauert.
Alles ist geheimnisvoll. Nichts wird geklärt, nicht einmal gedeutet. Im Leben so auch im Film, wenn  etwa Lynchs „Twin Peaks“ mit der in Plastik verpackten Laura Palmer   zum Fernsehereignis der 1990er wird.
 „Selbst wenn man nur in einen Raum mit vielen Leuten kommt, weiß man nicht, was passieren wird.“


Das Wichtigste sei die Idee: So hatte der von der Malerei kommende Regisseur 1986 nur Bobby Vintons „Blue Velvet“ im Kopf sowie die Vorstellung von einem abgetrennten Ohr, das im Gras liegt. Der Rest? Ergab sich. Das Ohr ist ein Loch ins Innere des Menschen, es führt zum Gehirn usw.
David Lynch ist 72.
Seit zwölf Jahren  hat er keinen Kinofilm mehr gemacht. Aber Bilder ausgestellt, Musik komponiert. Diese Woche meldete er sich und sagte über Donald Trump, er habe das Zeug dazu, als einer der größten Präsidenten in die Geschichte einzugehen. Wie das? „Weil er das Amt so sehr zerstört und man diesem Kerl in einer intelligenten Art nichts entgegenhalten kann.“
Im sehr unterhaltsamen Buch bekommt man, als Zugabe, die Informationen: David Lynch hat in einer Lade seines Schreibtisches Dutzende Zahnarztwerkzeuge.
(Und er pinkelt gern ins Waschbecken.)


David Lynch und Kristine McKenna:
„Traumwelten“
Übersetzt von R. Brack, D. Müller, W. Dorn und S. Glietsch.
Heyne.
768 Seiten.
25,70 Euro.

KURIER-Wertung: **** und ein halber Stern

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