Locarno begeisterte mit schönster Kino-Lust

Ein Mann hält eine goldene Trophäe vor einer applaudierenden Menschenmenge.
Trotz Regens strömten die Zuschauer in die Kinos, viele Stars sorgten für Glamour.

Beim 67. Internationalen Filmfestival Locarno gab es zum Schluss eine große Überraschung: Die Jury entsprach weitgehend den Erwartungen von Publikum und Kritik. So ging der Hauptpreis, der Goldene Leopard, auf die Philippinen an Regisseur Lav Diaz für "Von dem, was war". Diaz reflektiert in dem fünfstündigen Drama die Auswirkungen der Diktatur auf den Alltag seiner Heimat vor etwa vierzig Jahren.

Die Ehrung dieses mit großen Gefühlen und politischer Klarheit beeindruckenden Dramas als bester Film ist auch eine Anerkennung der Arbeit des erst im zweiten Jahr amtierenden künstlerischen Direktors des Festivals, Carlo Chatrian. Er prägt das Filmfest stärker als seine Vorgänger mit einer klugen Balance von Gesellschaftskritik und Publikumswirksamkeit. Zu recht schwärmte er zum Festivalfinale von "elf Tagen voller Emotionen mit großartigen Filmen und Filmemachern, die von der Welt und von den Menschen erzählt haben".

Beifall für die Jury

Carlo Chatrian sieht Locarno als "einen echten Ort des Austauschs von Ideen und Erfahrungen". Und die Jury, in der Regisseur Thomas Arslan ("Gold") mitarbeitete, bekam von den Festivalbesuchern für nahezu alle Entscheidungen viel Beifall, so auch bei den Ehrungen der besten Schauspieler: Ariane Labed ( Frankreich) gewann den Silbernen Leoparden für ihre Interpretation einer Schiffsmechanikerin in "Fidelio, die Odyssee von Alice" und Artem Bystrow (Russland) für die Verkörperung des Titelhelden in "Der Narr".

Zwei Jury-Urteile gingen jedoch nicht mit den Vorlieben von Publikum und Kritikern konform. Eine Überraschung war die Auszeichnung von Pedro Costa (Portugal) als bester Regisseur. Sein kunstgewerblicher Spielfilm "Pferdegeld" spiegelt in einem komplizierten, theatralischen Szenengeflecht die Folgen gravierender gesellschaftlicher Umbrüche auf die Psyche einfacher Menschen. Für die Juroren mag ausschlaggebend gewesen sein, dass Costa künstlerisch eigenwillige Wege geht, auch wenn viele Zuschauer denen nicht folgen mochten.

Überrascht

Überrascht hat daneben die Vergabe des Spezialpreises der Jury an "Halt die Klappe, Philip" von Alex Ross Perry (USA). Der Film erzählt weder eine originelle Story, noch überrascht er mit einem eigenwilligen Stil. Vielleicht ist das Porträt eines eitlen jungen New Yorker Schriftstellers als Verbeugung vor Woody Allen gedacht. Doch weil der Film selbst so schwatzhaft anmutet wie die Hauptfigur, nervt er eher, als dass er unterhält.

Erfreulicherweise aber überzeugte das Angebot in der Regel mit viel Qualität und lockte das Publikum in Scharen. Dazu zogen die angereisten Stars. Die US-Amerikanerinnen Mia Farrow und Melanie Griffith, die Französin Juliette Binoche, der Deutsche Armin-Mueller-Stahl, der Italiener Giancarlo Giannini und einige andere ließen bei abendlichen Freiluftgalas auf der Piazza Grande von Locarno jeweils mehr als achttausend Zuschauer jubeln.

Die Galas auf dem von Arkaden, Cafes und Boutiquen umgebenen malerischen Marktplatz machen das Festival in Locarno alljährlich zu einem wirklichen Fest für Filmfans. Sie harren sogar dann auf den harten Plastikstühlen aus, wenn es regnet. Capes und Schirme gehören zur Standardausrüstung der Locarno-Besucher. Denn hier entfaltet sich immer eine wahrlich einmalige Atmosphäre: Das Spiel von Licht und Schatten erreicht am Ufer des Lago Maggiore eine geradezu magische Intensität. Und das liegt weniger am Glanz der Sterne. Hier triumphiert schönste Kino-Lust.

Hauptwettbewerb (Concorso Internazionale):

- Goldener Leopard: "Mula Sa Kung Ano Ang Noon" ("From What Is Before"/ "Von dem, was war") von Lav Diaz (Philippinen)

- Spezialpreis der Jury: "Listen Up Philip" ("Halt die Klappe, Philip") von Alex Ross Perry (USA)

- Leopard für den besten Regisseur: Pedro Costa (Portugal) für "Cavalo Dinheiro" ("Pferdegeld")

- Leopard für die beste Darstellerin: Ariane Labed (Frankreich) für "Fidelio, L'Odyssee d'Alice" ("Fidelio, die Odyssee von Alice") von Lucie Borleteau (Frankreich)

- Leopard für den besten Darsteller: Artem Bystrow (Russland) für "Durak" ("Der Narr") von Yury Bykow (Russland)

- Besondere Erwähnung: "Ventos de Agosto" ("Die Winde im August") von Gabriel Mascaro (Brasilien)

Wettbewerb der Filmemacher der Gegenwart (Concorso Cineasti del presente):

- Goldener Leopard des Wettbewerbs der Filmemacher der Gegenwart: "Navajazo" von Ricardo Silva (Mexiko)

- Preis für den besten Nachwuchsregisseur: Simone Rapisarda Casanova (Italien) für "La Creazione de Significato" (Kanada/Italien)

Spezialpreis der Jury "Ciné+Cineasti" im Concorso Cineasti del presente":

- "Los Hongos" (Kolumbien/Frankreich/Argentinien/Deutschland) von Oscar Ruiz Navia (Kolumbien)

Publikumspreis für den besten Film außerhalb des Wettbewerbs auf der Piazza Grande:

- "Schweizer Helden" von Peter Luisi (Schweiz)

Woche der Kritik:

- "15 Corners oft he World" (Polen/ Deutschland) von Zuzanna Solakiewicz (Polen)

Variety Piazza Grande Award:

- "Marie Heurtin" von Jean-Pierre Améris (Frankreich)

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