Coming of Age aus Sicht der Bubenseele

Coming of Age aus Sicht der Bubenseele
Regisseur Lukas Dhont über sein Coming-of-Age-Drama, für das er vor allem die diffizilen Leiden der jungen Männer im Blick hatte

Zwei Buben verstecken sich vor einer unsichtbaren Ritterarmee im Wald, rennen – auf der Flucht vor der imaginären Horde – los und lassen sich, völlig außer Atem, ins angrenzende Blumenfeld fallen. Unbeschwerte Momente glücklicher 13-Jähriger. Kein Blatt scheint zwischen die beiden zu passen. Doch es kommt anders.

„Close“, der zweite Spielfilm des jungen Belgiers Lukas Dhont, ist ein bittersüßes Drama über eine Bubenfreundschaft, die die Stürme und Verwirrungen der Pubertät nicht übersteht und tragisch endet.

Ein Gedanke zieht sich durch den Film: Weshalb gelten Nähe und ein gefühlvolles Miteinander, die Mädchen in diesem Alter bedenkenlos zugestanden werden, bei Buben als verdächtig? „Wenn zwei 13-jährige Buben übereinander reden, dann sprechen sie voller Zuneigung und Empathie. Man kann richtig heraushören, wie groß ihr Verlangen nach einer tiefen emotionalen Verbindung ist“, sagt Lukas Dhont. „Doch wenn du mit ihnen ein paar Jahre später, mit 16 oder 17, redest, dann trauen sie sich nicht mehr auf diese Art zu sprechen. Sie haben gelernt, dass in unserer Welt eine so gefühlsbetonte Sprache als feminin oder schwul angesehen wird. Sie verlernen das auszudrücken, was sie tief in ihrem Innern fühlen“.

Coming of Age aus Sicht der Bubenseele

Für Léo und Rémi ist alles wunderbar, bis sie ans Gymnasium kommen. Die Mitschüler machen sich plötzlich lustig über ihre Nähe und unschuldige Zuneigung füreinander. „Seid ihr ein Paar?“, fragen sie höhnisch und verunsichern die beiden. Während Rémi nichts auf das Gehänsel gibt, nimmt es sich Léo zu Herzen und geht auf Distanz zu Rémi. Remi zerbricht daran. „Freundschaften sind ein Herzstück unseres Lebens und wir haben alle schon welche vergeigt. Jeder hat schon einmal einen wertvollen Menschen weggestoßen oder wurde seinerseits zurückgewiesen. Den Wert der Nähe zu einem Menschen erkennt man oft erst zu spät“, sinniert Dhont.

Auch er habe als Jugendlicher Freunde vor den Kopf gestoßen, weil er wusste, er könne den männlichen Rollenerwartungen nicht gerecht werden: „Ich fürchtete die Intimität und Nähe. Ich dachte damals, ich bin der Einzige, der so fühlt. Später habe ich dann verstanden, dass das natürlich nicht so ist. Wir leben in einer Kultur, die so gar nicht daran gewöhnt ist, Männlichkeit mit Emotionen und Zärtlichkeit zu verbinden. Männer sollen nicht so viel Gefühl zeigen“.

Symbiotische Kraft

Dhont gelingt es, eine geradezu symbiotische Beziehung zwischen seinen beiden jungen Hauptdarstellern Eden Dambrine (Léo) und Gustav de Waele (Rémi) zu schaffen, was dem Film unglaubliche Kraft verleiht. „Die beiden hatten sich vorher noch nie getroffen und hatten noch nie geschauspielert. Sie fielen uns schon auf, als wir sie beim Casting in einer Gruppe von 20 Burschen sahen. Es gab eine unmittelbare Verbindung zwischen ihnen, sie verstanden sich auf Anhieb. Wir haben dann sechs Monate lang miteinander gearbeitet und als wir den Dreh begannen, wussten wir, dass wir gemeinsam etwas Tolles schaffen können“.

Stimmt es, dass er schon als 12-Jähriger vor dem Spiegel daheim in Gent seine Oscar-Dankesrede geübt hat? – „Ja“, schmunzelt Dhont, „das stimmt. Ich wusste schon als Kind, dass ich Filme machen will. Ich wollte nie etwas anderes. Meine Mutter hatte eine Freundin, die eine Videokamera besaß und fragte sie, ob sie mir diese leihen könnte. Die Oscars waren für mich schon damals das ultimative Symbol für den Erfolg als Filmemacher. Ich nahm also eine Shampooflasche in die Hand, hielt sie hoch wie meinen Oscar und hielt meine Gewinnerrede“.

Dhont geht 2023 mit „Close“ als Belgiens Kandidat für den Auslandsoscar ins Rennen. „Ja, mein Herz hüpft vor Freude, weil ich das Ganze gar nicht fassen kann. Vielleicht wird mein Traum doch wahr“. Bescheiden geblieben ist der 31-Jährige aber trotz seines Erfolgs: „Meine größte Inspiration war und ist meine Mutter. Sie ist Lehrerin und malt in jeder freien Minute. Sie hat eine ungeheure Kraft und Kreativität, die nicht gesehen wird, aber trotzdem da ist. Sie macht die Dinge für sich, nicht für die anderen. So soll es sein“.

VonSusanne Lintl

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