Es ist ja nicht so, dass das Leben mit elf, zwölf, dreizehn nicht eh schon kompliziert genug ist. Aber es wird auch nicht leichter, wenn der Papa einen wichtigen Koffer verliert, ihn zurückerobern muss, deshalb mit einem Löwen spricht, von einem Wal verschluckt wird – und von einem Tag auf den anderen einfach nicht mehr nach Hause kommt.
Wie einen Rettungsanker, der sie noch ein wenig in der Kindheit hält, bevor die Gewalt des Erwachsenwerdens sie mitschwemmt, liest Kim (Isabella Knöll) die fantasievollen Briefe ihres Vaters Eddie (Markus Meyer) über dessen vermeintliche Abenteuer. Mit witzigem Zusammenspiel von Schauspielerinnen und Animation punktet dabei „Mehr als alles auf der Welt“, das am Samstag im Akademietheater in der Regie von Suzanne Andrade Uraufführung feierte.
Auf Leinwände werden Fantasiewelten (mit tanzenden Hummern und Piraten, die ihre Kinder vermissen) ebenso projiziert wie das echte Leben im tristen England (Bühne und Animation: Paul Barritt). Und die Schauspieler werden in beides auf kreative Art integriert: Echter Schauspieler wirft in der gezeichneten Schulkantine ein animiertes Fischstäbchen, das wiederum auf dem Kopf einer echten Schauspielerin landet.
Das hat hohen Schauwert für die jüngeren Besucher, die – zumindest wenn sie schon kundig in manchen Schimpfwörtern sind – sich von dem für „Menschen von 8 bis 108“ angepriesenen Stück am besten angesprochen fühlen werden.
Abwesend
Zu sehen ist ein comic-haftes, unterhaltsames und eigentlich ziemlich trauriges Stück (von der Theatergruppe 1927 mit Andrade) über den Abschied vom Vertrauen in die Eltern und jenen schwierigen Moment, an dem die blinde Liebe und das ebenso blinde Vertrauen der Kinder in die Eltern mit der Realität aufeinanderprallt.
Denn eigentlich hat der Papa einen ganz anderen Grund für sein Abwesendsein als jene, die er in seinen immer wilderen Briefen schildert. Und als Kim dann vom Nachbarskind (Andrea Wenzl) drauf gestoßen wird (die Hölle, das sind die anderen Kinder), ist die Enttäuschung riesig. Wenn sie ihren Zorn herausschreit, ist die Bühne in rotes Wutlicht getaucht, und laute Teenagermusik sowie die Gang der bösen Mädels versprechen (falsche) Zuflucht.
Für die erwachsenen Begleitpersonen wird noch eine Armutsgeschichte rund um Kims Mutter (Alexandra Henkel) und eine falsche Freundin mit fiesen Öko-Bäckereien (Stefanie Dvorak) miterzählt. Das alles holt Kinder gelungen aus ihren Welten (Comics, Eltern sind blöd) ins Theater. Und am Schluss darf sich auch der animierte Bruder Kims verbeugen.
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