Christian Thielemann brillierte in Grafenegg

Ein Dirigent leitet ein Orchester mit Geigen.
Kritik: Der frisch gebackene Chefdirigent der Sächsischen Staatskapelle Dresden machte auf seiner Antrittstournee in Grafenegg Halt.

Für den Funktionsanalytiker ist er ein doppeldominantischer Septakkord mit tiefalterierter Quint im Bass und einer großen Sext, die die Sept ersetzt – das Gros der Musikinteressierten kennt ihn schlicht als "Tristan-Akkord".

Das Klangphänomen an sich war bereits zur Zeit der Wiener Klassik bekannt. Jahrzehnte später setzte es in Wagners Vorspiel zu "Tristan und Isolde" aber einen neuen Meilenstein. Kombiniert mit "Isoldes Liebestod" ergibt das auch heute noch ein beliebtes Konzertstück.

Subtil

Die subtile Kraft der aufstrebenden Sext samt steigender Chromatik verfehlte auch am Wochenende am Wolkenturm bei dem von Pianist Rudolf Buchbinder geleiteten Musik-Festival Grafenegg ihre Wirkung nicht. Großartig, wie behutsam die Cellisten der Sächsischen Staatskapelle dieses Leitmotiv immer wieder spielten!

Nach Konzerten mit dem Gewandhausorchester Leipzig (mit einem reinen Mendelssohn-Programm und unter der nicht sonderlich aufregenden Leitung von Chefdirigent Riccardo Chailly, dafür aber mit dem Top-Geiger Nikolaj Znaider) und dem London Symphony Orchestra (mit dem enttäuschenden Michael Tilson Thomas am Pult und dem äußerst soliden Emanuel Ax am Klavier) war nun Stardirigent und Publikumsliebling Christian Thielemann im Zuge seiner Antrittstournee als frisch gebackener Chefdirigent der Dresdner zu Gast. Allein das Engagement Thielemanns war ein Coup für Grafenegg. Und der Dirigent, der ab 2013 mit seiner Staatskapelle Dresden die Salzburger Osterfestspiele übernehmen wird, brillierte auch künstlerisch.

Feinsinnig

Der Maestro präsentierte stark kammermusikalisch gefärbte, feingliedrige Interpretationen, arbeitete mit reduzierten Gesten, gab seinen Musikern viel Freiraum. Das Ergebnis: Ein sehnsuchtsvoller, aber nicht schwelgerischer Wagner.

Zurückhaltend und durchsichtig Anton Bruckners Siebente Symphonie nach der Pause. Als lägen die einzelnen Stimmen aufgefächert vor einem. Keine imposante Wucht. Im Fokus der Kontrapunktlehrer Anton Bruckner. Zuvor hatte Sunnyi Melles mit einer Wagner-Lesung überrascht.

KURIER-Wertung: **** von *****

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