"Chevalier": Mythen von Männlichkeit

Eine Person treibt entspannt auf dem dunklen Wasser.
Männerausflug wird zum Wettbewerb – schräge Sittenkomödie aus Griechenland.

Ein Mann hat sein Handy auf Lautsprecher gestellt. Es liegt in der Mitte auf einem Tisch – und alle können sein Gespräch mithören. Alle – das sind seine fünf Männerfreunde, mit denen er gerade einen Trip auf einer Luxusyacht unternimmt.

Sie alle starren auf sein Handy und lauschen angestrengt.

"Liebst du mich?", fragt der Mann seine Frau. "Vermisst du mich?"

"Ja", sagt die Frau, sichtlich überrascht.

"Sprich lauter", kommandiert der Mann: "Ich kann dich nicht hören."

Seine Freunde schauen streng, einige machen sich Notizen. Doch der Mann ist mit sich sehr zufrieden. Er hat gerade die Prüfung eines gelungenen, liebevollen Ehegesprächs bestanden. Er kann auf eine hohe Punktezahl für diese Leistung hoffen.

Denn er und seine fünf Freunde sind längst nicht mehr einfach nur so zum Spaß auf einer noblen Kreuzfahrt in der Ägäis unterwegs. Um der bohrenden Langeweile entgegen zu wirken, haben sich die Herren ein Spiel ausgedacht. Es nennt sich "Chevalier" und es geht darum, den Besten unter ihnen zu bestimmen.

Den Besten worin?

Den Besten in allem.

Die "Disziplinen" reichen von der Größe der Morgenerektion bis hin zur Höhe des Cholesterinspiegels. Alles zählt – von der Fähigkeit des Silberputzens bis zur Penislänge. Jede noch so harmlose Plauderei unter Freunden verwandelt zum Prüfungsgespräch ("Bei wie viel Grad karamellisierst du den Balsamico-Essig?"), jeder Austausch von Kochrezepten zum Duell.

Schräge Griechen

Athina Rachel Tsangari, die Regisseurin von "Chevalier", zählt zu den herausragenden Vertretern der sogenannten "neuen griechischen Welle" – und die ist notorisch für ihren abgefahrenen Humor.

Man denke nur an Filmemacher wie Yorgos Lanthimos und seine unberechenbare Tierverwandlungsfarce "The Lobster".

Tsangari selbst stellte zuletzt mit der knackigen Girl-Groteske "Attenberg" ihren Sinn für schräge Komik unter Beweis. Nun unterzieht sie besagte Männergruppe einer beißenden Gender-Analyse: Sechs Alpha-Männchen – oder solche, die es gerne wären – mittleren Alters konkurrenzieren sich gegenseitig nieder. Eingeklemmt in ihren luxuriösen, aseptischen Yachtkabinen parlieren sie steif beim Dinner mit Weinbegleitung oder beim Trockentraining auf der Ruderbank. Wie in einer Parodie auf die "Quantified Self"-Bewegung – bei der es mittels Datenerfassung zur Selbstoptimierung kommen soll – beobachten die Männer sich und die anderen, schreiben Daten und Fakten nieder und wiederholen verbissen vor dem Spiegel: "Ich bin der Beste. Ich bin der Beste. Ich bin der Beste."

Mit großer Präzision und fast fieser Beobachtungsgabe gießt Tsangari ihre leicht absurden Szenarien in wunderbar kristalline, luzide Bilder. Sublime Komik wabert unter der Erzähloberfläche, verschiebt die Wahrnehmung und macht aus honorablen Ärzten und Geschäftsmännern pubertierende, Penis fixierte Narren. "Chevalier" ist eine Sittenkomödie in Form eines glasklaren, smarten Konzeptfilms. Sie demontiert den Mythos von Männlichkeit im Angesicht von allem – und nichts. Wann ist ein Mann ein Mann? Wenn er den schönsten Klingelton auf seinem Handy hat?

Skurriler Humor, made in Griechenland.

INFO: Chevalier. GR 2015. Von Athina Rachel Tsangari. Mit Giannis Drakopoulos, Kostas Filippoglou.

Im Kino: "Chevalier"

"Frohe Weihnachten, du Schlampe": Zwei Transgender-Freundinnen namens Sin-Dee Rella und Alexandra verdienen sich ihr Geld auf dem Strich, irgendwo in Hollywood. Sin-Dee, gerade aus dem Gefängnis entlassen, will ihren Freund und Zuhälter Chester treffen, als ihr Alexandra die bittere Wahrheit unter die Nase reibt: Chester hat sie betrogen, mit einer weißen, "echten" Frau. Sin-Dee ist schwer verbittert: "Gott gab mir einen Penis. Das ist grausam."

Zeternd macht sie sich auf die Suche nach der Nebenbuhlerin – und der Filmemacher Sean Baker folgt ihr mit seinem iPhone.

"Tangerine" wurde genau damit gedreht – einem iPhone mit Speziallinse, und Baker landete damit einen veritablen Hit auf dem Filmfestival in Sundance. Seine Bilder sind leicht gelbstichig und erinnern in ihrer schönen Farbenfreude an Polaroids. Doch es sind besonders die beiden Transgender-Girls mit ihren Perücken und hochgeschraubten Stimmen, die intensives Drama und schrille Komödie vor sich hertreiben und aus einem Leben erzählen im Schatten von Hollywood-Glamour.

INFO: USA 2015. 88 Min. Von Sean Baker. Mit Kitana Kiki Rodriguez, Mya Taylor, Karren Karagulian.

KURIER-Wertung:

Zwei Frauen posieren vor einer Wand mit Graffiti.
Beste Freundinnen: Sundance-Hit „Tangerine“ 

Mit lächelnden Gesichtern tanzten sie ihren Tango auf der Bühne, doch hinter den freundlichen Fassaden tobte der Hass: Die Erinnerungen der beiden argentinischen Tangotänzer María Nieves und Juan Carlos Copes – mittlerweile beide über 80 – sind alles andere als weichgespült. Als tanzendes Ehepaar wurden sie international berühmt und traten auch dann noch gemeinsam auf, als sie privat längst getrennte Wege gingen. Doch während Copes mit einer neuen Frau eine Familie gründete und Kinder bekam, verharrte die Ex-Frau in Liebesenttäuschung. Ihre gesamten (negativen) Lebensenergien flossen in die Perfektionierung ihres Tanzstils.

Besonders María Nieves erzählt von ihren schmerzvollen Erinnerungen in aller Offenheit – und Regisseur German Kral und sein üppiges Dokudrama profitieren fundamental von dieser mitleidlosen Nabelschau.

Etwas gewöhnungsbedürftig hingegen erscheinen seine polierten Re-inszenierungen historischer Ereignisse: Nieves’ Erinnerungen an die ersten Begegnungen mit ihrem zukünftigen Mann (damals noch ein schlechter Tänzer, der seinen Partnerinnen auf die Füße trat) lässt Kral im Musical-Stil aus Hollywoods 50er Jahren nachspielen. Immerhin: Seine lackierten Einschübe bieten Tango auf Höchst-Niveau.

INFO: D/AR 2015. 85 Min. Von German Kral. Mit María Nieves, Juan Carlos Copes.

KURIER-Wertung:

Ein Paar tanzt Tango auf einer beleuchteten Brücke bei Nacht.
Nachgestellte Erinnerungen im Musical-Stil: „Ein letzter Tango“

Ein feministisches Lüftchen durchweht die Fortsetzung der Brachial-Komödie "Bad Neighbors", in dem sich der Generationenkonflikt zwischen Studenten und Mittdreißigern in der Lautstärke der Stereoanlage äußert. Allerdings sind es diesmal nicht mehr grölende junge Männer, sondern grölende junge Frauen, die die Nachtruhe einer Kleinfamilie in ein Disco-Erlebnis verwandeln.

Seth Rogen und Rose Byrne als nettes Elternpaar mit zweitem Kind im Mutterbauch, haben ihr Haus verkauft, um in ein größeres zu ziehen. Ein Monat lang allerdings dürfen die Käufer den Vertragsabschluss noch überlegen – und gegebenenfalls ihren Kauf zurück nehmen. Ausgerechnet in diesem Augenblick zieht eine Party-süchtige Studentinnenverbindung ins Nebenhaus und profiliert sich mit lauter Musik und Drogenkonsum. Zwischen den jungen Frauen und dem Pärchen bricht der offene Krieg aus – und wird mit allen Mitteln, inklusive Tamponschlachten, geführt. Rogen und Byrne sind (fast) immer witzig, die Girls unter Führung von Chloë Grace Moretz allerdings schon weit weniger.

INFO: USA 2016. 92 Min. Von Nicholas Stoller. Mit Seth Rogen, Rose Byrne, Chloë Grace Moretz.

KURIER-Wertung:

Szene aus „Bad Neighbors 2“ mit Seth Rogen, der mit aufgemalten Bauchmuskeln und Müllsack vor einer Gruppe Studenten herläuft.
Seth Rogen legt sich mit den jungen Nachbarinnen im Nebenhaus an: "Bad Neighbors 2"

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