"Catch me if you can": Vergesst DiCaprio!
Die Geschichte des 16-jährigen Hochstaplers Frank W. Abagnale, der in den Sechzigern halb Amerika mit Scheckbetrügereien und falschen Identitäten narrte, ist eine wahre. Stephen Spielberg verfilmte sie mit Leonardo DiCaprio in der Hauptrolle.
Die Besucher der Kammerspiele-Premiere am Donnerstag denken wohl nicht mehr an DiCaprio. Der neue Star heißt Rasmus Borkowski. Er brilliert in der Hauptrolle des Musicals „Catch me if you can“, einer Bühnenfassung des Films, 2011 am Broadway uraufgeführt. Werner Sobotka hat Terrence McNallys und Marc Shaimans Show nun als europäische Erstaufführung für Wien adaptiert. Retro, bunt und sicher nicht tiefsinnig. Aber äußerst unterhaltsam. Ein gelungenes Auftaktspektakel für die Wiedereröffnung der generalsanierten Kammerspiele. Die jetzt auch eine erweiterte Bühne, Orchestergraben und größere Pausenfoyers haben.
Unpeinlich
Das dreistündige Spektakel wirkt wie von gestern – im besten Sinn. Eine grelle Revue aus der Welt des Nachmittagsfernsehens. Regisseur Sobotka – er hat die Originaltexte unpeinlich ins Deutsche übertragen – versucht dankenswerterweise erst gar nicht, der Show um den sympathischen Betrüger etwas Zeitgenössisches abzugewinnen. Denn sonst müsste er den juvenilen Delinquenten Frank, der die Welt zum Narren hält, indem er sich als Pilot, Arzt und Jurist ausgibt, als bedauernswerten Psychopathen zeigen: Er betet nach, was ihm der gescheiterte Vater einredet („Hauptsache Uniform“) und behauptet, sein Lebenszweck seien „Mädchen, Mädchen, Mädchen“. Die tauchen als notgeile Krankenschwestern in sexy Uniformen, die sie sich tanzend vom Leibe reißen, und als Stewardessen in Mikro-Minis auf (einige stehen vor der Premiere vor dem Theater, Besucher können sich mit ihnen fotografieren lassen. Der Kellner von gegenüber findet das überaus „scharf“). Das kann man altmodisch, sexistisch oder ironisch finden.
Es ist aber vor allem eine grandiose Show. Zehn Haupt- und Nebendarsteller, dazu ein 13-köpfiges Tänzerensemble, das großartig swingt – auch dank des feinen Live-Orchesters. Die Choreografie sitzt, die Ausstattung ist stimmig. Kitsch – mit Augenzwinkern. So wird die Schmalzgefahr beim Schmachtfetzen „Flieg ins Glück“ mit einem Damentrio im Supremes-Look abgefangen. Und da, wo’s wirklich ums Gefühl geht, etwa in den Szenen zwischen Vater (wunderbar als sentimentaler Gentleman: Axel Herrig) und dem verschrobenen FBI-Mann (liebenswert: Martin Berger), vermag die Show zu berühren. Den Song „Live und ganz in Farbe“, der sich als Farbfernseh-Metapher durch den Abend zieht, hat man noch Stunden später im Ohr.
KURIER-Wertung:
Eindrücke aus "Catch me if you can"
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