Buchkritik: Angela Lehner und ihr "Vater unser"

Buchkritik: Angela Lehner und ihr "Vater unser"
Ein Debüt der Klagenfurterin, bei dem man sich fürchten kann. Denn bei der Frau im Roman stimmt gar nichts.

„Ich hab’ mich beim Schreiben ja selber vor Eva Gruber gefürchtet.“
Wir hören Angela Lehner (Bild oben) im Originalton. Sie ist gebürtige Klagenfurterin und lebt in Berlin. „Vater unser“ ist Angela Lehners erster Roman. Er hat etwas, das andere Romane nicht zusammenbringen: Er verweht nicht nach der letzten Seite. Die Unsicherheit, die er auslöst, bleibt im Kopf, Eva Gruber – um die 25 Jahre alt, hochintelligent  – bleibt im Kopf. Obwohl: Meistens redet sie ja nur.
Der Verlag wirbt mit einer „Geisteskranken, wie es sie noch nicht gegeben hat“.
Das ist zu bezweifeln, wenn man sich so umsieht.

Täuschungen

Jedenfalls wird Eva Gruber von der Polizei auf die Baumgartner Höhe (Steinhof) in Wien gebracht. Es heißt, sie prahlte damit, eine Kindergartenklasse erschossen zu haben.
Aber Vorsicht ist geboten. Auch wenn sie dem leitenden Psychiater erzählt, die Mutter sei tot, der Vater sei tot und und und. Selbst eine neue Ärztin glaubt ihr zunächst, als sie ihr sagt, sie sei bloß hier, um jemanden zu besuchen.
Evas jüngerer Bruder Bernhard ist ebenfalls auf der Baumgartner Höhe. Er ist bis zum Skelett abgemagert. Bernhard will, dass Eva ihn in Ruhe lässt. Sie manipuliert. Sie manipuliert alle.
Was ist mit dieser Familie los?  Die Geschwister sind Missbrauchsopfer. Ihr Vater war ein Verbrecher. Und der Himmelvater diente als Druckmittel. Um noch etwas Wahres  zu hören, müssen Eva und Bernhard  in ein Auto steigen und nach Hause in die Berge fahren.
Es ist verständlich, dass die Autorin diesen Weg beschreitet, aber gern wäre man auf der Psychiatrie geblieben und hätte dort mehr erfahren.
Wie kam Angela Lehner zu ihrer Romanfigur? „Das Erste ist die Stimme. Ich hab mir nicht vorher überlegt, dass ich einen Roman schreiben will, der im Irrenhaus spielt. Da war einfach die Stimme, und die hat gesprochen. Beim Schreiben höre ich gewissermaßen zu, was die so daherredet. ... Und irgendwann fragt man sich als Autorin: Was ist da los? Warum ist die so gestört?“

***
Kurz entfernt man sich aus dem Lügengespinst, denn Eva Gruber raucht eine Tschick. DIE Tschick. Als Wiener kennt man nur die männliche Form der Zigarette, und der Duden lässt nur sie gelten. In der Jugendsprache wird der Tschick immer häufiger zu einer Tschick. Seltsam, alles.

 

Angela Lehner: „Vater unser“
Hanser Berlin Verlag.
304 Seiten.
22,70 Euro.

KURIER-Wertung: **** und ein halber Stern

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