Zwischenrufe von Houellebecq: Bei Schubert weint er

Zwischenrufe von Houellebecq: Bei Schubert weint er
Das Buch "Ein bisschen schlechter" sammelt Standpunkte, die nicht immer ernst zu nehmen sind

Nachdem in Frankreich Michel Houellebecqs Buch – eine Sammlung von „Zwischenrufen“ – im Oktober erschienen war, stürzten sich viele Zeitungen auf jene Passage, in der er Donald Trump für den besten Präsidenten hält, den Amerika je hatte.

Aber das war nichts Neues. (Nichts im Buch ist neu, bestenfalls unbekannt.) Wer wollte, konnte diesen Gedanken schon im Jänner 2019 in Harper’s Magazine ungläubig anstarren:

Trump sei zwar widerlich, doch sei er für den Brexit und gegen die EU, genau wie Houellebecq, denn es gebe keine gemeinsamen Werte, keine gemeinsamen Interessen – Europa sei kein Volk.

Sängerin gestört

Am 3. Dezember 2020 erscheinen die „Interventions 2020“ auf Deutsch.

Der Titel: „Ein bisschen schlechter“. Diese Ausgabe ist um 200 Seiten kürzer als das Original, was nichts damit zu tun hat, dass der Kölner DuMont Verlag Beschimpfungen (etwa gegen Feministinnen) zur Sicherheit weggelassen hat: Die wurden nämlich längst in zwei früher übersetzten Sammlungen herausgebracht, und das reicht. In Frankreich offensichtlich nicht, da wird offenbar wiederholt.

Was auf Seite 28 steht, ist bemerkenswerter als die Wortmeldung zu Trump. Sein Schriftstellerfreund Frédéric Beigbeder verrät: Houellebecq weint, wenn er Paul McCartneys „Let it Be“ hört.

Schau dir was an. Der Refrain, man soll sich’s nicht zu Herzen nehmen, der geht ihm zu Herzen.

Oh ja, ergänzt der 62-Jährige (oder 64-Jährige? man weiß es nicht genau) im abgedruckten Gespräch mit Beigbeder, oh ja, und bei Schuberts „Der Hirt auf dem Felsen“ habe er während eines Konzerts derart laut geschluchzt, dass er die Sängerin störte.

In dem Lied geht es um Einsamkeit hoch droben auf dem Berg.

Wundern und ärgern

Bemerkenswert ist das nicht nur deshalb, weil es (vielleicht) etwas vom echten Michel Houellebecq - Foto oben - zeigt.

Sondern weil das eine klare Aussage ist – im Gegensatz zu seinen sich ins aktuelle Geschehen einmischenden Texten. Da stellt er gern Behauptungen auf, ohne sie zu beweisen.

Etwa als er im Zusammenhang mit seinem Roman „Unterwerfung“ (2015) den Islam als „bescheuertste aller Religionen“ bezeichnete.

Der Roman selbst ist allerdings nie beleidigend, bloß eine Vision: Frankreich hat eine islamische Regierung.

Auch sind „Karte und Gebiet“ (Prix Goncourt 2010) und „Serotonin“ (2019) vor allem eines: Literatur. Satire, die sagt, was man nicht sagen darf. Vulgär oft. Sexistisch. Böse. Aber Literatur, über die man sich wundern darf. Über die man sich unbedingt ärgern muss. Aber lesen will.

„Ein bisschen schlechter“ geht leider weg von seiner klugen Literaturkritik in Richtung Katholizismus und moralischer Zeigefinger.

Zwischen Christus, der die Sünden der Welt auf sich nimmt, und einem Schriftsteller, sieht er eine Ähnlichkeit.

Er ist gegen Sterbehilfe; und die Gesellschaft wird sich nach Corona nicht ändern, es wird alles genau so bleiben; und wenn sich der als „Forensiker der Gesellschaft“ 2019 mit dem Österreichischen Staatspreis für Europäische Literatur ausgezeichnete Franzose dazu äußert, warum um Himmels Willen er Gott mit den weiblichen Geschlechtsorganen verglichen hat, fällt ihm dazu nur ein:

Nein, das sei keine Provokation gewesen, „man muss das wirklich ernst nehmen.“

Man muss seine Ansichten, vor allem seine politischen Standpunkte, keineswegs ernst nehmen. Nur weil er Houellebecq heißt, muss man ihn nicht ernst nehmen.

Er hat versprochen, in Zukunft seine Meinung nicht mehr öffentlich mitzuteilen („außer in schwerwiegenden moralischen Notfällen“).

Das Filmen macht ihm ohnehin zurzeit mehr Freude, zuletzt in „Thalasso“ mit Gerard Depardieu – noch ein Enfant terrible, beide im Bademantel, sieht lustig aus, sieht immerhin etwas appetitlicher aus als damals, als Houellebecq bei Beigbeder zum Abendessen eingeladen war und seine Zähne auf den Tisch legte.

Michel
Houellebecq:

„Ein bisschen schlechter“
Übersetzt von
Stephan
Kleiner.
DuMont Verlag.
206 Seiten.
23,70 Euro.

KURIER-Wertung: ***

 

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